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Vinge, Vernor: Die Tiefen der Zeit (Buch)

Vernor Vinge
Die Tiefen der Zeit
Heyne. 2006, Taschenbuch, 796 Seiten, 15 EUR, ISBN-10: 3-453-52132-3, ISBN-13: 978-3-453-52132-2

Von Gunther Barnewald

„Die Tiefen der Zeit“ enthält 18 Novellen bzw. Kurzgeschichten des Autors, die zwischen 1965 und 2003 entstanden sind und im Original größtenteils in der Anthologie „The Collected Stories of Vernor Vinge“ erschienen sind.

Die Bandbreite des Autors ist dabei sehr beachtlich, denn bevor Vinge in die Gefilde der emotionsfernen, zukünftigen, technisch geprägten Cyberwelten abglitt, war der Autor ein passabler Unterhalter, der auch abenteuerliche SF nicht verschmähte, wovon z. B. sein erster in Deutschland erschienener Roman „Der Besserwisser“ („The Whitlin“g, Bastei Lübbe TB 21174) zeugt.
Der vorliegende Erzählungsband enthält glücklicherweise größtenteils Geschichten, die aus der Zeit vor Vinges Hinwendung zur Hard-SF stammen, nur vier der Storys merkt man eine extrem technische Ausprägung an, wobei „Das Cookie-Monster” („The Cookie Monster”) aber durchaus lesbar erscheint und trotz flacher Charaktere ein spannende Geschichte erzählt.
Leider gilt dies für die anderen drei Storys nicht. Da ist zunächst „Die Plapperin” („The Blabber”), die zu des Autors Zukunftszyklus gehört und von Nichteingeweihten (wegen deren Unverständigkeit) ruhig überlesen werden darf. Auch die längste Geschichte der Anthologie „Wahre Namen” („True Names”) von 1980, immer wieder hervorgehoben als eine der ersten Erzählungen, die sich der virtuellen Welt des Cyberspace zuwandte, ist kein großes Leseerlebnis. Sie bildet jedoch gut (allerdings wohl eher unbeabsichtigt vom Autor) die unreife Kindischkeit jener Menschen ab, die ihr Freizeit hauptsächlich in virtuellen Welten verbringen, da sie mit der Realität nicht zurecht kommen. Insgesamt sind jedoch die Charaktere viel zu flach geraten, um wirklich glaubhaft zu sein.
Ebenfalls leblos und auch unausgegoren ist die ältere Kurzgeschichte „Weitschuss” („Long Shot”), die ein dermaßen unsinniges Ende hat (menschliche Babys werden auf einem fremden Planeten von einer Sonde ausgebrütet in der Hoffnung, dortige Ureinwohner würden diese Babys vielleicht aufziehen! Na, wenn der Menschheit nichts besseres einfällt...!), dass der Leser nur den Kopf schütteln kann.

Es gibt jedoch in der vorliegenden Anthologie auch wirklich qualitativ hochwertige und vor allem unterhaltsam und spannend geschriebene Geschichten, welche glücklicherweise überwiegen. Die vielleicht beste, lockerste und vor allem amüsanteste Erzählung ist „Die Barbarenprinzessin” („The Babarian Princess”), die auf einer fremden Welt spielt, auf der die intelligenten Einwohner eine durch Metallmangel speziell geprägte technische Zivilisation entwickelt haben. Aus der Sicht eines Herausgebers eines SF-/Fantasymagazins, der mit einem Schiff und größerer Besatzung um die Welt reist und sein Produkt an allen möglichen Orten verkauft, wird hier ein faszinierende Welt entworfen.
Die Erzählung erinnert frappant an Jack Vance´ Roman „Showboat World“ (dt. als „Showboot-Welt“ gerade wieder, gründlich neu übersetzt, in der Edition Andreas Irle erschienen), wobei Vinge zudem eine clevere Anspielung auf eine bekannte literarische Figur (Conan, der Barbar) gelingt. Die Geschichte spielt auf dem gleichen Planeten wie Vinges erster Roman „Grimms World“, der leider bisher nie ins Deutsche übersetzt wurde. (Vielleicht erbarmt sich irgendwann einmal ein deutscher Verlag dieses Kleinods).
Ebenfalls wunderbar zu lesen sind die beiden zusammen mit Co-Autoren verfassten Erzählungen.
„Der Lehrling des fahrenden Händlers”, dessen erste Hälfte der Autor selbst verfasste und die von seiner damaligen Ehefrau Joan D. Vinge fertig geschrieben wurde, überzeugt durch eine interessante Ausgangsidee, Farbigkeit und eine spannende Handlung. Hier haben gewisse Mächtige versucht, den dauernden Aufstieg und Fall menschlicher Kulturen zu stoppen und so ein Zeitalter ewiger Stagnation erzeugt, bis eine Art Tiefkühlschläfer eingreift und den Stillstand abrupt beendet.
In „Gerechter Frieden” („Just Peace”), zusammen mit William Rupp geschrieben, versucht ein duplizierter irdischer Botschafter auf einem fremden, von Menschen besiedelten Planeten, diesen vor der Zerstörung zu bewahren. Hier zeigt sich jedoch, dass die Feindschaft der dort lebenden Menschengruppen untereinander so groß ist, dass diese lieber den ganzen Planeten untergehen lassen, als zusammen zu arbeiten. So greift der Protagonist zu radikalen Maßnahmen, frei nach dem üblen Motto: „Euch zwinge ich zu eurem Glück!”
Ebenfalls eine intelligente Idee und deren geschickte Umsetzung liegen der Kurzgeschichte „Edelstein” („Gemstone”) zu Grunde, in der sich ein merkwürdiger Stein als ganz besonderes außerirdisches Lebewesen entpuppt.
Ebenfalls erwähnenswert sind die inhaltlich zusammen hängenden Kurzgeschichten „Absonderung” („Apartness”) und „Kampflose Eroberung” („Conquest by Default”).
Beide spielen auf einer Erde, deren Zivilisation auf der Nordhalbkugel durch einen Krieg völlig vernichtet wurde. Während sich die Länder auf der Südhalbkugel langsam berappeln, entdeckt eine Expedition in der ersten Story ganz besondere Überlebende in der Antarktis.
In der zweiten Erzählung, die lange Zeit nach der ersten spielt, haben intelligente Außerirdische die Erde erreicht und beginnen eine kulturelle Eroberung, die dereinst die Eigenheiten der menschlichen Zivilisation komplett auszulöschen droht, haben die Aliens doch ein von der menschlichen Zivilisation völlig verschiedenes Werteverständnis entwickelt, welches eine Art libertinäre Anarchie mit Antikartellgesetz (!) darstellt. Eine faszinierende Idee, die der Autor sogar einigermaßen glaubhaft umsetzt.

Auch die anderen Erzählungen, vielleicht mit Ausnahme der klischeehaft-langweiligen Story „Die Tiefen der Zeit” („The Whirligig of Time”), sind gut zu lesen, interessant und spannend, so dass sich die Anschaffung des überformatigen, voluminösen Bandes durchaus lohnt, auch wenn dem Leser beim Halten des Buchs mal wieder ein Bruch des Handgelenks oder zumindest eine Entzündung des selbigen droht.


Aber anscheinend werden in unserem Land Bücher nicht mehr hauptsächlich gelesen, sondern lieber verschenkt, und sollen deshalb besonders viel „Wind machen”, weshalb die Verlage dazu übergegangen sind, diese unhandlichen Überformate zu drucken.
Inhaltlich lohnt „Die Tiefen der Zeit“ die Anschaffung aber auf jeden Fall.

hinzugefügt: March 30th 2006
Tester: Gunther Barnewald
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