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Henkel, Oliver: Kaisertag (Buch)

Oliver Henkel:
Kaisertag

2002 by Books on Demand GmbH.
389 Seiten. 21 Euro.

ISBN 3-8311-4481-8


von Gunther Barnewald


Bücher, die von Books on Demand gedruckt und in kleinen Auflagen veröffentlicht werden, sind so eine Sache. Denn hier kann jeder Dilettant die deutsche Sprache erwürgen und verhunzen, wie es ihm gefällt.
Untalentierte Möchtegernschriftsteller mit sprachlichem Sonderschulabschluß beherrschen den Markt, unzureichend oder gar nicht lektoriert erscheinen hier oft Elaborate, die einer Vergewaltigung der Grammatik und Orthographie gleichkommen.
Wenn man Glück hat, sind die Bücher einigermaßen überarbeitet, und wenn man viel Glück hat, kann ihr Autor sogar erträglich erzählen.
Dies gilt jedenfalls im Fall von Oliver Henkel, dessen Werk zwar nicht billig, dafür aber durchaus lesbar ist.
Zwar ist die fehlende Silbentrennung im Werk etwas gewöhnungsbedürftig (diese taucht dafür irritierenderweise auf den letzten ca. 100 Seiten oft mitten im Text wieder auf) und auch der ein oder andere grammatikalische Fehler ist zu verzeichnen. Die Fehleranzahl überschreitet allerdings das Maß gewisser “anerkannter” Taschenbuchverlage nur unwesentlich und ist deshalb nicht weiter erwähnenswert.
Erfreulich ist vor allem, dass der Autor talentiert die Geschichte einer Alternativwelt entwirft, die in Art und Ausgestaltung an die Werke Christian von Ditfurths erinnert, wobei dessen erste beide Romane durchaus nicht besser waren als Henkels Kaisertag. Um so erstaunlicher, dass kein größerer Verlag sich dieser durchaus lesbaren und unterhaltsamen Geschichte erbarmt hat.
Henkel erzählt die Geschichte des Hamburger Privatdetektivs Friedrich Prieß, der 1988 von der Witwe eines Geheimdienstoffiziers den Auftag erhält, dessen mysteriösen Selbstmord zu untersuchen. Unversehens stolpert Prieß dabei in eine Verschwörung von ungeahntem Ausmaß, die er sich nie hätte träumen lassen, denn das Deutsche Reich unter Kaiser Wilhelm V ist noch immer eine der stärksten Mächte in der Welt, hat Kolonien in Afrika, im Pazifik und in China, hat jedoch mächtige innere Feinde, die davon träumen, dass Deutschland zur mächtigsten Weltmacht aufsteigt.
Mit der Erfindung der Atombombe, die noch kein anderes Land besitzt, scheinen auch die technischen Voraussetzungen dafür gegeben.
Doch das Kaiserreich ist erstarrt in einer Art modernem Biedermeier, erscheint saturiert und inflexibel.
Allgegenwärtig beherrscht Militarismus und Obrigkeitsdenken das Land, wie man dies aus Heinrich Manns Meisterwerk Der Untertan kennt.
Da jedoch der österreichische Thronfolger und seine Frau 1914 nicht ermordet wurden, gab es keine Weltkriege und die technische Entwicklung hinkt der realen unserer Realität deutlich hinterher. Gleiches gilt für den gesellschaftlichen Fortschritt.
Leider drückt sich der Autor um einige wichtige Fragen dieser Alternativwelt herum.
Wo ist z. B. der Antisemitismus der Deutschen geblieben? Wie wirkt sich das Fortbestehen der innovativen und humorvollen Subkultur der jüdischen Deutschen auf dieses Reich aus? Was ist mit der rebellischen Arbeiterbewegung geschehen, die Vehement für eine Gleichberechtigung aller Menschen gekämpft hatte? Wie überbrückt der Staat die Kluft zwischen Aufklärung und Restauration? Wo sind neben den militanten Nazis die ebenso militanten Kommunisten geblieben?
Dies und vieles andere klammert der Autor leider zugunsten einer actionreichen Geschichte aus, die deshalb in einer nur teilweise glaubhaften Welt spielt. Dieses Vorgehen sorgt zwar für Spannung und Lesevergnügen, einzelne arg strapazierte Klischees vergällen diese Freude aber teilweise wieder.
So erscheint das Belauschen der Verschwörer durch ein offenes Fenster in einem geheimen Institut, welches der Detektiv mal kurzerhand und ohne große Hindernisse durch einen Kanal infiltriert hat, ebenso unrealistisch wie die Flucht des Protagonisten vermittels (ausgerechnet) eines Wäschewagens. Hier werden übelste, abgegriffenste Klischees aufs ärgste strapaziert, was der erzählten Geschichte sehr schadet.
Positiv fällt der leise Humor des Autors auf, der berühmte Personen der Zeitgeschichte in veränderten Rollen agieren lässt. So wird der Detektiv bei seiner Arbeit in Lübeck, wo der Hauptteil der Geschichte spielt, u. a. von einem gewissen Senator Herbert Frahm (d. i. der bürgerliche Name von Willy Brandt) und einem Offizier namens Victor von Bülow (d. i. Loriot), der aus seinem zeichnerischen und satirischen Talent leider nie etwas gemacht hat, unterstützt.
Zudem existiert in der Welt von Friedrich Prieß auch Robert Harris Alternativweltroman Vaterland (im Original: Fatherland), in dem der britische Autor jedoch unsere Realität mit den zwei Weltkriegen, dem Nationalsozialismus und den Massenmorden sozusagen “erfunden” hat, was vom Protagonisten mit Kopfschütteln und völliger Verständnislosigkeit quittiert wird, hält er einen solchen ausgemachten Schwachsinn doch für völlig daneben und unrealistisch.
Dies wiederum könnte eine Anspielung auf Philip K. Dicks Alternativweltroman The Man in the high Castle (dt. Das Orakel vom Berge) sein, da in dessen Alternativwelt ebenfalls ein Buch existiert, welches unsere Realität beschreibt.
Dies und die spannende Handlung machen Kaisertag eindeutig lesenswert, trotz der schwachen Ausarbeitung der Alternativwelt, dem hohen Anschaffungspreis, einiger Klischees und den eher flachen Charakteren, denen der Autor leider über die ganze Strecke des Romans keine wirkliche Tiefe zu verleihen vermag.
Für Anhänger von Alternativweltgeschichten ist Kaisertag trotz der erheblichen Schwächen sicherlich eine Anschaffung wert.
Oliver Henkel erhielt für diesen Roman den Deutschen Science Fiction Preis 2003 des Science Fiction Clubs Deutschland (SFCD).

hinzugefügt: October 27th 2004
Tester: Gunther Barnewald
Punkte:
Hits: 2919
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