Neil Gaiman
Sandman 8
Worlds’ End
(The Sandman: World’s End, # 51-56, 1991-95)
Titelillustration von Dave McKean
Zeichnungen von Bryn Talbot, John Watkiss, Michael Alfred, Michael Zulli Shea Anton Pensa, Dick Giordano, Mark Buckingham, Gary Amaro und anderen, Farbe von Danny Vozzo
Aus dem Amerikanischen von Gerlinde Althoff
Panini, 2009, Paperback mit Klappenbroschur, 172 Seiten, 19,95 EUR, ISBN 978-3-86607-783-6
Von Christel Scheja
Neil Gaiman schuf mit seiner „Sandman”-Serie ein Stück Comic-Geschichte, in der er bewies, dass außergewöhnliche Reihen durchaus in der Lage waren, grafisch wie inhaltlich Traditionen und Tabus in Frage zu stellen, ohne dabei jedoch für ein breites Publikum die Grenzen des guten Geschmacks zu überschreiten.
Seine eigenwilligen Geschichten verbanden Einfallsreichtum und Eigenwilligkeit mit Tiefgang und literarischer Qualität, die auch den Leser heraus forderten mitzudenken und zwischen den Zeilen zu lesen.
Die insgesamt zehn Sammelbände der Reihe sind zwar bereits in den 1990er Jahren bei der Ehapa Comic Collection erschienenen, Panini legt sie aber nun im originalen Format und auf besserem Papier gedruckt noch einmal auf.
Sechs unterschiedliche Geschichten werden in „Worlds’ End“ präsentiert, zusammengehalten von einer klassischen Rahmengeschichte: Während eines Wintersturms kommt ein junger Mann mit seinem Wagen von der Straße ab. Seine Freundin wird dabei schwer, wenn nicht sogar tödlich verletzt, während er nur mit ein paar Schrunden davon kommt.
Mit letzter Kraft schafft er es, mit ihr ein abgelegenes Haus zu erreichen – offensichtlich eine Herberge, in der schon andere Zuflucht gefunden haben. Wie um Traum erlebt der Ankömmling das folgende. Man kümmert sich um ihn und seine Freundin. Während sie ruht, wird er an einen Tisch geführt, wo die Anwesenden seltsame Geschichten zum Besten geben, die eben so seltsam zu sein scheinen, wie sie selbst.
So erzählt ein alter Mann von einem Angestellten, der wie ein Autist in einer eigenen Welt zu leben scheint, dafür aber die höchst unterschiedlichen Gesichter seiner Stadt kennen lernt, als er eines Nachts in den falschen Zug steigt. Gerettet wird er nur von einem geheimnisvollen Mann.
Ein Elf ist im Auftrag seiner Königin in der Menschenwelt unterwegs, doch schon bald wird er in Intrigen verstrickt, die vor allem ihm selbst das Genick berechen könnten. Hat man ihn in eine Falle gelockt? Auch ihm kommt der Herr der Träume zur Hilfe.
Nicht anders ergeht es einem Jungen, der seiner Abenteuerlust folgt und dabei erkennen muss, dass nicht alles Seemannsgarn ist, was die altgedienten Matrosen erzählen.
Und nicht zuletzt muss „Der Goldjunge“ erfahren, dass vieles von seinem Erfolg nicht unbedingt nur Glück ist, sondern geschickte Manipulation des Mannes, der ihn wie eine Marionette durch das ganze Leben führt.
Und das ist nicht die einzige Geschichte, die den Ankömmling gleichzeitig verwirrt und tief berührt, so dass er am Ende gar nicht mehr weiß, was Traum und was Wirklichkeit ist.
Dream tritt in diesem Band eher verhalten auf – als Retter und Mahner, als Beschützer und Wächter. Dennoch ist das Buch voll von Träumen. Nicht nur eine Geschichte ist in einer anderen verborgen sondern eigentlich sind alle auf ihre Weise irreal.
Was ist Traum, was Wirklichkeit? Und ist es überhaupt bedeutsam, dass sorgfältig voneinander zu trennen? – Das sind die großen Fragen des Bandes.
Der Gasthof am Ende der Welten lässt beides miteinander verschmelzen und gibt doch keine Antwort. Hier finden sich diejenigen zusammen, die nach etwas suchen – und wenn es nur die Gesellschaft anderer Seelen ist und die Ablenkung durch deren Lebensgeschichten. Und dabei ist es nicht wichtig, wo sie her kommen und wie sie aussehen. Dazu kommt noch etwas anderes: Gerade wenn man meint, die Geschehnisse im Großen und Ganzen durchschaut zu haben, negiert die nächste Szene alle bisherigen Vermutungen.
Wieder mischen sich in der abwechslungsreiche Geschichte aus Erzählungen Beobachtungen aus dem ganz alltäglichen Leben, die jeder nachvollziehen kann, mit märchenhaft-mythischen Geschehnissen zu einer diesmal sogar ungewohnt positiven aber weiterhin sehr dichten Erzählung.
Durch die hintergründigen Dialoge, die geschickt eingebauten Andeutungen und das Ungesagte, das der Leser mit seinen eigenen Gedanken füllen muss, erzeugt er Spannung, nicht durch vordergründige Action und unnötige Gewalt.
Auch „Sandman – Worlds’ End” präsentiert hintergründige Geschichten die entweder von oberflächlichen Klischees frei sind oder mit diesen spielen und gänzlich auf sinnfreie Action verzichtet. Stattdessen richtet er sich an ein belesenes, anspruchsvolles Publikum, das viel lieber zwischen den Zeilen und Bildern liest.