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Kelly, James Patrick & Kessel, John (Hrsg.): Rewired - The Post Cyberpunk Anthology (Buch)

James Patrick Kelly & John Kessel (Hrsg.)
Rewired - The Post Cyberpunk Anthology
Tachyon Press, 2007, Paperback, 425 Seiten, 9,95 EUR, ISBN 978-1892391537

Von Oliver Naujoks

Was ist Post-Cyberpunk? Die Herausgeber versuchen das in einem vorangestellten, scharfsichtigen und eloquenten Essay zu definieren. Das ist zum einen natürlich die Autoren-Nachfolgegeneration des Cyberpunk der 80er, deren prominenteste Vertreter William Gibson und Bruce Sterling waren und sind, und inhaltlich definieren die Autoren Post-Cyberpunk als etwas, dass auch modernste Technologien (insbesondere Nano- und Computertechnik) zum Inhalt hat, aber etwas flexibler daherkommt und nicht auf die Cyberpunk-typischen Ex-Programmierer von der Straße oder Gouvernment-Ninjas angewiesen ist. Als Alpha-Tiere des Postcyberpunk rufen sie Cory Doctorow und Charles Stross aus, was wohl wenig Widerspruch auslösen dürfte (höchsten von anderen Autoren) und konsensfähig ist.
Diese Definition ist recht weit, und so lesen sich dann auch die Geschichten, eine typische Post-Cyberpunk Atmospähre lässt sich so nur schwer ausmachen, vielleicht noch am ehesten, so stellt man sich das vor, wie in Charles Stross’ „Lobsters“. Während man Cyberpunk gut und schnell erkennen und erfühlen kann, wie die Auftaktgeschichte von Bruce Sterling beweist.

Der Band enthält keine originalen, neuen Geschichten sondern bildet einen Querschnitt der letzten zehn Jahre. Insofern ist es fast etwas enttäuschend, dass die Ausbeute an Highlights nicht größer ausgefallen ist, auch wenn es einige Geschichten gibt, die sich großartig lesen, und zwar teilweise nicht von neuen Autoren, sondern gerade von Veteranen wie Michael Swanwick (auch wenn ich diese Geschichte jetzt schon zum dritten Mal las) und Walter Jon Williams.

Der Band wird abgerundet durch einen eingestreuten Briefwechsel von Bruce Sterling und John Kessel aus den 80ern, in welchen die beiden sich Gedanken um Definition und Zukunft des Cyberpunk machen, Ausschnitte aus diesen Briefen finden sich zwischen den Geschichten.

Etwas verhoben haben sich die Autoren, indem sie Bruce Sterlings Anthologie „Mirrorshades“ (dt. Spiegelschatten, 1986) ins Feld führen, die als Manifest und eine Art Gründungsakt des Cyberpunk angesehen wird. Da sich der Post-Cyberpunk nicht so eindeutig definieren lässt, die nachfolgenden Geschichten auch teilweise nur lose gemeinsame Merkmale aufweisen und trotz eines repräsentativen Querschnitts auch nicht nur erstklassige Texte zu finden sind, darf das Ziel zumindest eines Postcyberpunk-Manifests als gescheitert angesehen werden. Eine sehr lesenswerte Anthologie ist „Rewired“ trotzdem. Statt einer Gesamtbewertung (die sich zwischen 7-8 Punkten einpendeln würde und sich nicht auf ein mathematisches Noten-Mittel der Geschichten bezieht) folgen nun kurze Einzelkritiken der Geschichten mit Bewertung:

Bruce Sterling: „Bicycle Repairman”, 34 Seiten
zuerst erschienen 1996 in ‚Intersections’ von Kessel, van Name & Butner (ed.)
Die Auftaktgeschichte bietet auf den ersten Blick klassische Cyberpunk-Atmosphäre pur mit einem Sprawl-Setting, Straßen-Attitüde, Regierungs-Ninjas usw. Und stellt dann alles auf den Kopf, wenn ein weiblicher Regierungs-Superagent-Ninja von einem Zweiradmechaniker und u.a. einer Sozialarbeiterin überwältigt wird.
Offensichtlich gegen den Strich der Cyberpunkt-Konventionen gebürstete Geschichte von Cyberpunk-Alphatier Bruce Sterling. Sehr schön erzählt, mit subtilem Humor und exzellenten Dialogen. Ein großer Lesespaß.
Punkte: 8/10.

Gwyneth Jones: „Red Sonja and Lessingham in Dreamland”, 16 Seiten
zuerst erschienen 1996 in ‚Off Limits’ von Ellen Datlow (ed.)
Hier merkt man das Entstehungsjahr deutlich, diese sich auf das Fantasy-Werk von Eric Rücker Eddison (bei dem sich die Autorin in der Vorrede entschuldigt!) beziehende VR-Geschichte um Fantasy, erotische Fantasien und Cybersex wirkt in ihrer futuristischen Thematik heute, wo niemand mehr über VR-Helme spricht, irgendwie altmodisch, zumal das Thema Erotik nur unausgegoren abgehandelt und der Schluss unentschlossen wirkt. Trotzdem recht gut erzählt.
Punkte: 6/10.

Jonathan Lethem: „How we Got in Town and out Again”, 24 Seiten
Zuerst erschienen in Asimov’s 9/2006
Noch eine VR-Geschichte in einer postapokalyptischen Welt, in welcher die desolate Bevölkerung durch die Übertragung von VR-Wettkämpfen bei Laune gehalten wird.
Einfallsreich und mit gut ausgearbeiteten Charakteren erzählt.
Punkte: 7/10.

Greg Egan: „Yeyuka“, 18 Seiten
zuerst erschienen 1997 in ‚Meanjin v56 #1’
Eine Geschichte um ein Gadget: Ein High-Tech-Ring, der automatisch richtige Antikörper und Medikamente bilden kann und deshalb dessen Träger fast immun gegen Krankheiten macht...
Der Autor nutzt die Geschichte, um, indem er den Ring nach Afrika transportiert, Korruption und Habgier anzuprangern. Atmosphärische Beschreibungen, eine drängende Aussage, gute SF.
Punkte: 7/10

Pat Cardigan: „The Final Remake of The Return of Little Latin Larry with a Completely Remastered Soundtrack and the Original Audience”, 24 Seiten
zuerst erschienen 1997 in ‚Future Histories’ von Stephen McClelland
Die Rekonstruktion eines Band-Auftritts anhand von subjektiven Erinnerungen verdeutlicht, dass man sich auf diese nicht unbedingt immer verlassen sollte. Hat mich nicht angefixt.
Punkte: 5/10

William Gibson: „Thirteen Views of a Cardboard City”, 10 Seiten
zuerst erschienen 1997 in ‚New Worlds’ von David Garnett and Michael Moor***** (ed.)
Tatsächlich lediglich Stadt- oder Szenenbeschreibungen.
Wortgewaltig, wie immer bei Gibson, aber wohl mehr eine Fingerübung, denn eine Geschichte. Interessant, dass das zweite Cyberpunk-Alphatier neben Sterling mit so einem untypischen (obwohl, eigentlich nicht) Text in diesem Band vertreten ist.
Punkte: 6/10

David Marusek: „The Wedding Album”, 52 Seiten
zuerst erschienen in Asimov’s 6/1999
Um den schönen Moment einer Hochzeit für immer zu konservieren, wird diese als VR festgehalten. Die VR-Charaktere, Braut und Bräutigam, die alle paar Jahre wieder hervorgeholt werden, müssen feststellen, dass um sie herum die einst so hoffnungsvolle Familie langsam zerbricht, und mehr..
Brillante Idee, leider etwas langatmig erzählt.
Punkte: 6/10

Walter Jon Williams: „Daddy’s World”, 10 Seiten
zuerst erschienen 1999 in ‚Not of Women Born“
Ein Junge wächst mit seiner Familie in einer paradiesischen Welt auf. Leider ist dieses Paradies nur virtuell, denn der Junge ist tot und nur ein Programm, mit welchem seine Familie seinen Tod ignorieren kann. Als er sich dessen bewusst wird, merkt er, dass seine künstliche Welt, und sei sie auch noch so schön, ein unentrinnbares Gefängnis ist.
Die Geschichte zeigt, welches Potential in solch einem eigentlich ausgelutschten VR-Plot steckt. Dank der Konzentration auf die tragischen Aspekte der Geschichte mit der Sehnsucht nach Normalität und einer glücklichen Familie, vieler guter erzählerischer Einfälle und der hervorragend konstruierten graduellen Verwandlung dieser Welt in eine Hölle, erreicht Williams ein Maximum an Anteilnahme. Und ein Erschauern.
Punkte: 9/10

Michael Swanwick: „The Dog Said-Bow Wow”, 18 Seiten
zuerst erschienen in Asimov’s 10-11/2001
In einer irgendwie viktorianischen Zukunft nach dem großen Crash aller Technologien versucht ein durch Bioimplantate zweibeinig laufender Hund mit seinem Helfer der in einem abstrusen Buckingham Palace lebenden Königin von England, ein zimmergroßes Organ-Monstrum mit über 30 Gehirnen, einen wichtigen Gegenstand abzuluchsen...
Wirklich wüste Mischung aus Dystopie, Cyberpunk, Posse, viktorianischer Erzählung und Schelmenroman-Stoff. Der Autor brennt ein wahres Feuerwerk an Ideen ab, da kann man bei der Lektüre nur die Luft anhalten und applaudieren, die beschworenen Bilder sind so schlagend originell, dass man die Geschichte nach Abschluss der Lektüre am liebsten gleich noch einmal lesen möchte.
Punkte: 9/10

Charles Stross: „Lobsters“, 28 Seiten
Zuerst erschienen in Asimov’s 6/2001
Der, neben Cory Doctorow, von den Herausgebern als zweite Alpha-Tier des Post-Cyberpunk bezeichnete Autor liefert eine Geschichte aus einer Zukunft ab, in welcher Web 2.0 und unsere heutige angeblich schnelllebige Zeit vorsintflutlich wirken. Dabei werden heutige Technologien extrapoliert und eine Welt vorgeführt, die in ihrer Atemlosigkeit und Fremdheit fasziniert und abstößt. Eine Welt, in welcher die titelgebenden Hummer „hochgeladen“ werden und ggf. in ferne Galaxien abgestrahlt werden können. Ein Kritiker schrieb mal, dass man bei Stross meinen könnte, sich „inmitten einer explodierenden Ideenfabrik“ zu befinden. Da ist was dran. Die Geschichte bildet auch den Auftakt seines Episodenromans „Accelerando“.
Punkte: 8/10

Paul Di Filippo: „What’s Up, Tiger Lilly?“, 38 Seiten
zuerst erschienen 2003 in „The Silver Gryphon“, Gary Turner & Marty Halpern (ed.)
Eine originelle Prämisse: Ein Mann erfindet ein Papier, welches man aufgrund von Veränderungen auf Molekularbasis als Computer verwenden kann, und verändert mit dieser extrem mächtigen und billigen Technologie die Welt. Der Autor nutzt diese interessante Prämisse für eine humorvolle Groteske mit vielen hübsch eingestreuten Filmzitaten, enttäuscht aber durch einen allzu gewöhnlichen Abschluss.
Punkte: 7/10

Christopher Rowe: „The Voluntary State“, 36 Seiten
zuerst erschienen in sci fiction 5/2004
In einem totalitären Staat ist die Technologie so weit fortgeschritten, dass fast jeder Gegenstand ein Bewusstsein zu haben scheint. Trotz guter Idee und daraus resultierender Fabulierfreude wieder eine Rowe-Geschichte, mit der der Verfasser dieser Zeilen nicht so viel anfangen konnte. Der Autor braucht wohl mehrere Geschichten zur Eingewöhnung.
Punkte: 5/10

Elisabeth Bear: „Two Dreams on Trains“, 8 Seiten
zuerst erschienen in Strange Horizons 1/2005
Irgendwas mit einer Mutter und ihrem Sohn. Come again? Kam ich überhaupt nicht rein.
(Bekam andernorts aber auch viel Lob)
Punkte: 4/10

Paolo Bacigalupi: „The Calorie Man“, 32 Seiten
zuerst erschienen in MF&SF 10/2005
In einer düsteren Zukunft sind Pflanzen unfruchtbar und böse Nahrungskonzern-Kartelle achten peinlich genau darauf, dass die Leute nur ihre Produkte kaufen, Gentechnik verboten bleibt und Genetiker verfolgt werden.
Ein Verbrechen: Eine geniale Story-Idee mit einer zum schneiden dicken, hervorragend eingefangenen Indien-Atmosphäre wird an eine müde und zu konventionelle Erzählung verraten. „Calorie Man 2.0“ würde ich definitiv lesen wollen, diese Geschichte nicht noch einmal.
Punkte: 5/10

Mary Rosenblum: „Search Engine”, 20 Seiten
zuerst erschienen in Analog 9/2005
In einer Zukunft, in der online so viele Daten gesammelt werden, dass diese schon nutzlos sind, sind die Menschen gefragt, die eine Schneise durch das Datendickicht zu schlagen in der Lage sind.
Nette Detektiv-Geschichte mit einigen Twists.
Punkte: 6/10

Cory Doctorow: „When Sysadmins Ruled The Earth”, 35 Seiten
zuerst erschienen in Jim Beam’s Universe 8/2006
Während ein Systemadministrator nachts wegen eines Notfalls zur Arbeit gerufen wird, geht außerhalb seines Computerzentrums draußen die Welt unter, irgendwas mit einem konzertierten biologischen und nuklearen Angriff. Ein Großteil der Menschheit ist tot, doch die im Gebäude noch befindlichen Systemadministratoren, halbwegs unabhängig durch Nahrungsmittelvorräte und Stromgeneratoren beschließen das zu tun, wofür sie da sind: Die Computer am Laufen zu halten, damit die Welt irgendwann wieder aufgebaut werden kann.
Eine Geschichte mit einem solchen Titel kann nur gut sein, und so ist es auch. Obwohl offensichtlich eine Farce, versteht es Doctorow mit nur wenigen Pinselstrichen, seinen Charakteren Tiefe einzuhauchen und ihnen die Sympathie der Leser zu sichern. Trefflichste, höchst amüsante Beschreibungen dieser als Geeks und Nerds bezeichnen Menschen („Menschen mit schwarzen T-Shirts mit völlig unverständlichen Sprüchen drauf“) und die Mischung aus Apokalypse, Humor, Tragik, Computer- und Onlineeigenheiten (Doctorow weiß genau, wovon er hier schreibt) und tatsächlich menschlicher Wärme machen diesen Abschluss des Bandes von Postcyberpunk-Alphatier - so die Herausgeber - Cory Doctorow zu einem Volltreffer. Wie kann man auch eine Geschichte nicht mögen, in welcher ein Computerprogrammierer, der gerade per Telefon erfahren hat, dass die Fruchtblase seiner Frau geplatzt ist, seinen Kollegen zuruft: „The Gold Master has shipped!“ und sein Kind, nachdem es im Mutterleib „Beta Version“ hieß, dann „2.0“ nennt...
Insgesamt eine Geschichte, für die man den Autor knuddeln möchte und ein würdiger Abschluss des Bandes.
Punkte: 9/10


Hinweis: Die Angabe einer Note erfolgt aufgrund der Vorgabe unseres Redaktionssystems.

hinzugefügt: January 13th 2008
Tester: Oliver Naujoks
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