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Ein kurzer Film über die Liebe (DVD)

Ein kurzer Film über die Liebe
Polen 1988, Regie: Krzysztof Kieslowski, Teresa Violetta Buhl, mit Artur Barcis, Miroslawa Chojnacka, Stanislaw Gawlik u.a.

Von Thomas Harbach

Wie „Ein kurzer Film über das Töten“ ist „Ein kurzer Film über die Liebe“ eine Erweiterung der Dekalog-Fernsehserie. In den zehn Fernsehfilmen dieser Serie hat sich Kieslowski mit den zehn Geboten in einem modernen seelenlosen Wohnghetto und vor allem einer sozialistischen politisch atheistisch gehaltenen Gesellschaft auseinandergesetzt. Bei „Ein kurzer Film über das Töten“ hat Kieslowski den Plot der Fernsehfolge einfach erweitert. Im Gegensatz dazu besteht nur die erste Hälfte aus der Dekalog-Folge „Thou shall not commit Adultery“, das Ende hat der Regisseur überarbeitet und der Abschluss des intimen Films ist befriedigender, als die Fernsehfolge. Es lohnt sich, zuerst den entsprechenden „Dekalog“-Part noch einmal anzusehen und dann die spätere Ergänzung zu vergleichen.

Zum Auftakt erinnert der Film an eine absichtliche Hommage an Alfred Hitchcocks „Rear Window“ und vor allem an Michael Powells „Peeping Tom“. Die drei Filme würden ein interessante Triple-Feature ergeben, in denen unterschiedliche Charaktere – sowohl was die Persönlichkeiten, als auch deren Lebensumstände betrifft – aus verschiedenen Motiven zu Spannern werden. Brian de Palma in „der Tod kommt zweimal“ und Dario Argento in „Do you like Hitchock“ haben bewiesen, dass sie dem Thema nicht wirklich neue Impulse in ihren Filmen geben konnten. Gleich zu Beginn manipuliert Kieslowski aber auch seine Zuschauer, in dem er die Vorteile des Kinos zu seinen Gunsten ausnutzt. Tomek (eine sehr gute und vor allem nuancierte Darstellung von Olaf Lubaszenko) sitzt wie die Kinozuschauer in einem dunklen Raum. Seine Leinwand ist im wahrsten Sinne des Wortes ein „Fenster zum Hof“. In diesem Fall aus seinem Fenster zu dem seiner Wohnung gegenüberliegenden Hochhausblock. Sobald abends der Wecker klingelt, entfernt Tomek das Tuch vom sakral verhüllten Fernrohr. Jetzt kommt Magda (Grazyna Szapolowska hat es bei ihrer Rolle deutlich schwerer; sie muss sexuell anziehend sein, darf aber auch nicht zu aggressiv wirken. Ihr gelingt es verführerisch gut, eine emanzipierte, aber nicht fordernde Frau zu spielen, die in ihrem Leben noch nicht so zynisch geworden ist, den jungen Tomek zu brüskieren) nach Hause. Tomek hat sich vor einer unbestimmten Zeit als heimlicher Beobachter in ihr Leben geschlichen. Als Magda den heimlichen Beobachter bemerkt, dreht sie den Spieß um. Sie sucht den Kontakt ohne Angst, Kieslowski ist klug genug, die Romanze nicht durch Klischees des Horrorfilms aufzupeppen. Dass dieser Kontakt zwischen den beiden sehr unterschiedlichen Menschen schließlich in einer Katastrophe enden wird, ist dem Zuschauer eher in seinem Unterbewusstsein latent bekannt, aber welchen Weg die tragische Geschichte dieser beiden im Grunde ihres Herzens einsamen Menschen nehmen wird, gehört zu seinen besten Arbeiten.

In vielen seiner Filme geht es dem polnischen Regisseur um die Schwierigkeiten der Menschen, miteinander in Beziehung zu treten. Mit der für Kieslowski so typischen Ökonomie beschreibt er mit einer Handvoll überraschend poetischer Szenen ohne hektische Bildschnitte den behutsamen Kontakt zweier Menschen. Technisch übernimmt der polnische Filmemache zwar Einstellungen aus den Filmen seiner berühmten Vorgänger, aber er verleiht ihnen ein überraschend eloquente Note.
Das liegt schon der Tatsache begründet, dass sich der Regisseur dem Thema an sich von einer überraschend innovativen Seite nähert. Das Thema Voyeurismus ist schwierig und komplex. Wo hört das Anschauen eines Menschen auf und wo beginnt das Beobachten. Schon in seinen anderen Filmen schauen sich die Menschen gerne an. Viele Emotionen werden in Kieslowskis Werken weniger verbal, sondern durch Gesten und vor allem das Anschauen eines Menschen ausgedrückt. Nicht selten hat der Zuschauer das Gefühl, als müsse er zusammen mit den oft gebrochenen, unfertigen Figuren das Einmaleins der Kommunikation neu erlernen. Kieslowski macht es seinen Zuschauern nicht einfach. Er gibt keine Lösungen vor. Seine Filme sind nicht selten Denkanstöße, der nächste Schritt muss vom Zuschauer selbst kommen, sonst verlieren seine Filme wie ein intensiver Traum ihre Faszination.

Tomek ist von der deutlich älteren Frau besessen. Aber sind seine Beobachtungen deswegen voyeuristisch und vor allem schmierig? Was ist, wenn dieser polnische „Peeping Tom“(ek) in Wirklichkeit die Frau auf seine Art und Weise liebt. Kieslowski macht deutlich, dass Tamok mit seiner scheuen, zurückhaltenden Art unter genereller Kontaktarmut leidet. Vielleicht ist das Zuschauen seine einzige Möglichkeit, den Emotionen, seiner Liebe zumindest für einen Augenblick Herr zu werden? Kann man einen Menschen, den man nicht kennengelernt hat, den man nur ansieht, wirklich lieben? Schlägt man den Bogen zum Arbeitsplatz, wo viele Menschen ihre Kollegen oder Kolleginnen nur schmachtend betrachten, aber aus Furcht vor Abweisung und vor allem einer Verschlechterung des Arbeitsklimas ihre Gefühle nicht offenbaren wollen, lassen sich die Fragen alle mit einem klaren „Ja“ beantworten. Magda ist auf eine ganz andere Art und Weise unreif. Wie der Zuschauer aufgrund von Tomeks Beobachtungen feststellt, ist Magda frustriert. Ihre bisherigen Beziehungen haben sich in erster Linie auf Sex konzentriert. Ihre eigenen Gefühle sind nicht selten auf der Strecke geblieben. Mehrmals wird impliziert, dass sie sich als Geliebte von verheirateten Männern unter Wert verkauft hat. Sie ist inzwischen in Bezug auf Liebe zynisch geworden. Ist sie überhaupt in der Lage, wahre Liebe zu erkennen und zu erwidern? Beide Charaktere seines Films sind „geschlagene Menschen“. Was Tomek zu wenig erlebt hat, hat sich bei Magda aufgrund ihrer vielen Erfahrungen als zuviel und vor allem falsch herausgestellt. Beide müssten aufeinander zu gehen, damit überhaupt eine platonische Liebe funktionieren könnte.

Am Ende zeigt Kieslowski sehr deutlich, was er sich unter Liebe vorstellt. Ganz bewusst löst er sich von den traditionellen Begriffen wie romantische gegenseitige Anziehung und vor allem sexuelle Leidenschaft. Für ihn ist Liebe die Fähigkeit, mit den Augen des anderen Menschen wirklich zu sehen. Diesen Bogen spannt er von der Liebe einer Mutter für ihren Ziehsohn über Tomeks Leidenschaft, dank des Teleskops der Frau, die er begehrt, nahe zu sein, aus der Ferne in ihr Leben einzudringen und dabei die schützende Umgebung seiner Wohnung nicht verlassen zu müssen. Nachdem man durch die Augen des anderen Menschen gesehen hat, ist es für Kieslowski wichtig, den zweiten Schritt zu machen. Ihre Bedürfnisse zu erkennen und vor allem zu akzeptieren und die Hand auszustrecken. Diese Thesen baut der Regisseur in seiner bestimmten, sehr ruhigen Art konsequent und stringent auf, um sie dann mit den letzten Minuten seines Films demonstrativ zu zerstören. Diese Schockwirkung soll den Zuschauer ebenso aus seiner Lethargie erwecken wie die beiden unerträglichen langen Sterbeszenen in „Ein kurzer Film über das Töten“. Es gibt allerdings in einem Kieslowski Film immer den Augenblick der Versöhnung. Und so gelingt es ihm, ein Bild der emotionalen Zerstörung auf der einen Seite zu erschaffen, auf der anderen Seite im gleichen Atemzug positive Emotionen im Zuschauer zu erwecken.

In „Red“ seiner „Drei Farben“-Trilogie wird Kieslowski sich noch einmal mit den Grundthemen des Films auseinandersetzen. Jean-Louis Trintignant spielt in diesem Film einen zynischen, einsamen Richter, der seine Nachbarn beobachtet und denunziert. Der Teufelskreis seiner Einsamkeit und seiner Verbitterung wird erst durchbrochen, als eine freundliche Nachbarin – Irene Jacob – ihm buchstäblich die Hand der Freundschaft reicht. Während die französische Produktion technisch opulenter und vor allem von der Erzählstruktur ambivalenter erscheint, ist es der mit einem Budget von vielleicht 100.000 US Dollar entstandene Beitrag zur „Dekalog“-Reihe, der ausdrucksstärker ist. Mit seinem langjährigen Drehbuchautoren Krysztof Piesewicz, seinem Kameramann Witold Adamek und seinem Komponisten Zbigniew Preisner hat Kieslowski nicht nur an allen Teilen der „Dekalog“-Serie gearbeitet. Sie haben bei den meisten seiner Filme mit ihm gearbeitet. Pieswwiczs Drehbuch hat sehr überzeugende Charaktere geschaffen. In einem intimen Film wie „Ein kurzer Film über das Töten“ müssen sie die Handlung auf ihren Schultern tragen. Beide Figuren sind sehr realistisch geschrieben worden. Das Drehbuch scheut sich nicht, ihre guten wie auch schlechten Seiten kommentarlos und ungeschminkt zu zeigen. Ganz bewusst wird der Zuschauer keine Angriffsfläche geboten, er muss die Figuren in der vorgegebenen Form akzeptieren. Keine biedert sich an, keine wirkt eindimensional und vor allem künstlich. Adamek setzt Kieslowskis sehr präzise, teilweise zu ökonomische Inszenierungsweise in unterkühlte, dunkle, aber nicht kalte Bilder um. Das Grau der seelenlosen Hochhaussiedlung wird gezeigt, aber nicht kommentiert und akzentuiert. Das komplexe Geflecht der emotionalen Bindungen findet keine Opposition in dem effektiven, sehr zurückhaltenden Spiel der Akteure. Sie versuchen den jeweils inneren Zwiespalt impliziert und nicht expliziert darzustellen und bringen so die Zuschauer auf ihre Seite. Zbigniew Preisner hat zumindest im vorliegenden Film die schwierigste Aufgabe. Er muss mit seiner Musik das Geschehen auf der Leinwand begleiten, darf es aber nicht kommentieren. Der Soundtrack ist noch ökonomischer und zurückhaltender als Kieslowskis Regieinszenierung. Vor allem im Vergleich zu den technisch sehr glatten Filmen „Peeping Tom“ und „Fenster zum Hof“ wirkt der Film roh, ungeschliffen und damit authentisch. Wie in allen anderen „Dekalog“-Teile versucht Kieslowski in erster Linie das Leben in einem gewöhnlichen Hochhausblock zu beschreiben, in dem die zehn Gebote und vor allem die Religion an sich von dem täglichen „Überlebenskampf“ in einem zerfallenden sozialistischen Staat – Polen vor der Wende als die Streiks der Arbeiter in der Danziger Werft immer noch eine erneute Besetzung durch die sowjetischen Truppen nach sich ziehen könnte - längst verdrängt worden sind.

Es empfiehlt sich, beide Langfassungen als Einstieg in die „Dekalog“-Serie anzusehen, die in Deutschland leider bislang nicht auf DVD erschienen sind. „Ein kurzer Film über die Liebe“ hat noch mehr als er Diskussionswürdigere und aufgrund der Thematik Todesstrafe aktuellere „Ein kurzer Film über das Töten“ das Fenster zum eigenen Innenhof geöffnet. Das Liebe aber das beständigere, das wichtigere Element des Lebens ist, zeigt Kieslowski in diesem zeitlosen, wunderschönen und verstörenden Film.

Als einziges Extra gibt es einen Trailer. Das Bild dieses nunmehr fast 20 Jahre alten Films macht einen guten Eindruck. Da die Vorlage fürs Fernsehen gedreht worden ist, ist die Darstellung von Kieslowski sehr zentriert angelegt worden. Es gibt keine Veränderung des Kinoformats gegenüber der DVD Veröffentlichung. Die Farben sind realistisch. Sie wirken absichtlich recht trist, unterstreichen damit auf natürliche Weise die Geschichte des Films. Ein Rauschen gibt es so gut wie nicht, das Bild ist überraschend scharf. Der Dunkel-zu-Dunkel-Kontrast könnte teils etwas besser sein. Der deutsche und der polnische Ton liegen im originalen Stereo vor. Beide Tonspuren verfügen über einen gut verständlichen Stereoton. Leider ist die polnische Tonspur nicht untertitelt.

DVD-Facts:
Bild: 1,66:1 (anamorph / 16:9)
Ton: deutsch Dolby Digital 2.0 Stereo, polnisch Dolby Digital 2.0 Stereo

hinzugefügt: December 9th 2007
Tester: Thomas Harbach
Punkte:
Hits: 2569
Sprache:

  

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