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Eschbach, Andreas (Hrsg.): Eine Trillion Euro (Buch)

Andreas Eschbach (Hrsg.)
Eine Trillion Euro
Lübbe, Taschenbuch, 464 Seiten, 8,90 EUR, ISBN 3-404-24326-9

Von Gunther Barnewald

Die vorliegende Anthologie ist tatsächlich eine Originalanthologie und enthält 17 Kurzgeschichten von Autoren der europäischen Union. Dies ist erstaunlich, denn nicht nur sind Anthologien auf den SF-Markt mittlerweile leider absolute Raritäten. Auch die Tatsache, dass hier keine amerikanische Autoren vertreten sind, statt dessen ein Finne, ein Grieche, Franzosen, Spanier, ein Belgier, ein Italiener und ein Holländer (unter anderen) zu Wort kommen, macht Eine Trillion Euro zur absoluten Ausnahmeerscheinung. Zwar konnte man früher Geschichten und Romane von Autoren dieser Provenienz auch bei Suhrkamp, Heyne oder auch in der DDR lesen, diese Zeiten sind jedoch leider längst vergangen.
Um so erstaunlicher, dass Bastei Lübbe dieses mutige Experiment wagt, unterstützt und ermöglicht sicherlich nur durch den Namen von Andreas Eschbach, dessen Ruf mittlerweile regelmäßig Bestseller garantiert.
Um so löblicher, dass der deutsche Autor sich so für die mittlerweile “exotische” SF Nicht-anglo-amerikanischer Autoren einsetzt. Dass dabei auch deutschsprachige Autoren zu Wort kommen, ist ebenfalls sehr erfreulich. So kann man neben Geschichten von Marrak, Jeschke, Hammerschmitt und der Titelgeschichte des Herausgebers auch eine Kurzgeschichte des Österreichers Leo Lukas bewundern.
Auch in anderer Hinsicht stellt die Anthologie ein Seltenheit auf den deutschen Markt für Phantastische Literatur dar, da sie viele sozial engagierte Utopien bzw. Dystopien enthält.
Die meisten Erzählungen spielen in der nahen Zukunft und auf der Erde, Ausnahmen stellen nur die Erzählungen von Wolfgang Jeschke und des belgischen Autors Alain Dartevelle dar.
Während letzterer eine eher dröge Geschichte um eine Begebenheit aus der Zeit der französischen Revolution erzählt, welche die Entstehung eines berühmten Ölgemäldes erklären soll, berichtet Jeschke von einem fremden Planeten, auf dem sich die Menschen mit den dortigen Einwohnern arrangiert haben. Als jedoch das größte Heiligtum der Eingeborenen von Menschen gestohlen und irreparabel beschädigt wird, droht dieses Arrangement zu zerbrechen. Trotz anfänglicher Wirrnis gelingt es dem Autor ein spannendes und interessantes Garn zu weben, auch wenn die Ankündigung des Herausgebers, die Story sei der große Höhepunkt der Anthologie, sicherlich etwas übertrieben ist.
Besonders gut schlagen sich nämlich vor allem die spanischen Autoren. Vor allem César Mallorqui beschreibt in “Die Mauer für eine Trillion Euro” eine Zukunft, wie sie aktueller und prägnanter kaum dargestellt werden könnte. Im Jahre 2108 ist Europa von einer Mauer umgeben. Die Medizin hat ein Verfahren entwickelt, welches das Leben deutlich verlängern kann. Dieses ist zwar sehr teuer, kommt jedoch einigen europäischen Rentnern zu gute, die zudem, durch eine weitere Erfindung, ihre Vergangenheit immer wieder durchleben können. Der Autor zeigt eine gerontokratische Ferienkolonie in Spanien, bewohnt von alten Menschen, die längst nur noch in ihrer Vergangenheit leben. Als ein farbiger Arzt einen der Bewohner dazu überreden will, ins richtige Leben zurückzukehren und seine Heimatstadt zu besuchen, scheitert er kläglich. Längst sind die Alten inflexibel geworden, wollen mit der Realität nichts mehr zu tun haben, während Europa, trotz der Mauer, zu einem ethnischen Schmelztiegel geworden ist, denn nur durch Zuwanderung ließ sich der europäische Reichtum und die Sozialsysteme wirklich sichern. Der Autor zeigt einen frappierenden Blick in eine durchaus mögliche Zukunft, die aktuelle Probleme ohne Schwarz-Weiß-Malerei berücksichtigt. Die Geschichte fällt dabei dermaßen prägnant aus, dass man sich wünschen würde, dass einige Politiker (vor allem des rechten Flügels) sie einmal lesen würden. Leider fehlt diesen ja meist die Phantasie für eine solche Fiktion, und Leute wie Edmund Stoiber wären von der Imaginationskraft des Autors mit Sicherheit sowieso heillos überfordert.
Auch die beiden anderen spanischen Autoren liefern gute Erzählungen ab. Während Elia Barcelo davon berichtet, dass reiche Europäer sich aus Entwicklungsländern neue Wirtskörper kaufen können und intelligent über die Folgen einer solche Technik spekuliert, erzählt Eduardo Vaquerizo von einer scheinbar heilen Welt, die jedoch unterschwellig die Unzufriedenheit ihrer Bürger schürt.
Interessanterweise wirkt diese unaufdringliche Story viel eindrücklicher als die in kräftigen Farben gezeichneten Dystopien anderer Autoren. Dabei zeigt die Erzählung des griechischen Autors Thanassis Vembos durchaus literarische Qualitäten, erschlägt den Leser durch ihren konsequent düsteren und nihilistischen Ton jedoch ebenso wie eine zerstörerische Welt voller Umweltkatastrophen, die der Franzose Jean-Marc Ligny beschreibt oder die eher schwache Story “Euro Zone” des ebenfalls französischen Erzählers Pierre Bordage, der eine galoppierende Inflation des Euros und die Verelendung der Europäer beschreibt.
Ebenfalls eher schwach ist die stark politisch gefärbte Geschichte des italienischen Autors Valerio Evangelisti, die ihre angedeutete Schärfe leider nicht umsetzen kann und das Thema Medienkritik verschenkt. Auch die geschwätzige Story der englischen Autorin Sara Doke ist nicht weiter erwähnenswert, wohingegen die Erzählung des holländischen Autors W. J. Maryson immerhin gut erzählt ist und einige interessante Aspekte enthält, auch wenn eine inhumane zukünftige Welt, in der jeder jedes Jahr nach seinen Leistungen beurteilt wird und bei Nichterfüllung einer gewissen Quote der Euthanasie zugeführt wird, wahrlich keine Novität im Bereich phantastischer Literatur darstellt.
Das humoristische Highlight der Anthologie wird von zwei deutschsprachigen Autoren geliefert. Während jedoch die Erzählung des Österreichers Leo Lukas zu vorhersehbar ist, gelingt Marcus Hammerschmitt ein herrlich schräge Geschichte voller Witz und Tragik, in der ein motivationsarmer Millionenerbe sich durch eine Fehlinvestition dermaßen gekränkt sieht, dass er sich endlich auf die Hinterbeine stellt und etwas unternimmt. Das “Vaucansons Ente” eigentlich gar keine phantastische Geschichte ist, wirkt dabei völlig nebensächlich, denn die Komik der Handlung und die beiden “schrulligen” Charaktere (neben dem Erben noch sein “gekaufter” pseudo-marxistischer Freund, ein Ego-Schwein par excellence) sprechen für sich.
Leider sind nicht alle Storys deutscher Autoren dermaßen gelungen. Die Erzählung des Herausgebers leidet einerseits an der Bekanntheit der Ausgangssituation (welche die gleiche ist wie in Roland Emmerichs Hollywood Blockbuster The Day After Tomorrow, den der Autor bestimmt ebenfalls kennt). Auch wenn Eschbach dann eine ganz andere Geschichte erzählt, vermindert dies die Spannung erheblich. Andererseits enthält die Story zu viel Hintergrundwissen, welches dem Leser um die Ohren geschlagen wird. Immerhin ist die Geschichte noch einigermaßen lesbar, was für Michael Marraks Garn nun leider gar nicht gilt. “Die Ausgesetzten” ist eine zweifellos akribisch recherchierte Erzählung, die über ihre vielen Detailinformationen völlig vergisst, dass auch ein Geschichte erzählt werden soll. Erst auf den letzten knapp 10 Seiten der 35seitigen Story beginnt die eigentliche Handlung, was natürlich zu grottiger Langeweile führt, auch wenn die Grundidee nicht schlecht ist. Marraks Story ist somit der größte Langweiler der vorliegenden Anthologie.
Dies wird jedoch von den besseren Geschichten mühelos kompensiert. So überzeugt die Story des finnischen Autors Pasi Jääskeläinen durch ihre dichte Atmosphäre und die gruselige Stimmung, die fast an die tollen Spukgeschichten des klassischen britischen Autors M. R. James denken lässt. Von dem finnischen Autor würde man sicherlich gerne mehr lesen.
Ebenfalls ergreifend und stilistisch brillant ist die traurige Geschichte des französischen Autors Jean-Claude Dunyach. Auch hier ist die Grundidee Kinogängern durch die Hollywood-Filme Memento und Vergiss mein nicht! zwar bekannt, wird von Autor jedoch geschickt variiert (sollte er die Filme überhaupt kennen) und dermaßen elegisch erzählt, dass man nur gebannt lauschen kann. Der Protagonist muss eines Tages entsetzt erkennen, dass sich eine ehemalige Geliebte alle Erinnerungen an ihre Beziehung hat “herausoperieren” lassen und diese verkauft hat. Durch den radikalen Eingriff gelingt es ihr auch nicht mehr, neue Erinnerungen einzuspeichern. Jeden Tag erzählt er ihr erneut von ihrer Liebe, an jedem weiteren Tag hat sie alles vergessen. Endlich entschließt er sich zu einem radikale Schritt, nicht ohne sich vorher abzusichern, was jedoch gründlich schief läuft...
Insgesamt stellt Eine Trillion Euro eine empfehlenswerte Lektüre dar, sicherlich wie jede Anthologie mit Höhe- und Tiefpunkten ausgestattet, jedoch allein durch die Auswahl der Autoren eine Anschaffung wert. Ganz abgesehen davon, dass sozial engagierte SF leider mittlerweile eine Rarität darstellt.
Vor allem aber enthält die Anthologie mehr als ein halbes Dutzend tolle Kurzgeschichten, und selbst die weniger gelungenen Storys sind (bis auf die Erzählung von Michael Marrak) durchaus lesenswert.

hinzugefügt: July 12th 2004
Tester: Guido Latz
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