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Shayol Jahrbuch zur Science Fiction 2004 (Buch)


Eine persönliche Begegnung mit dem „Shayol Jahrbuch zur Science Fiction 2004“.

Udo Klotz, Hans-Peter Neumann (Hrsg.) & Hannes Riffel:
Shayol Jahrbuch zur Science Fiction 2004
Shayol-Verlag, Paperback, 369 Seiten, Berlin 2005, ISBN 3-926126-46-9, EUR 19,90.


Es gibt nicht viel Sekundärliteratur zur Phantastik im allgemeinen und der Science Fiction im besonderen in Deutschland. In Buchform schon gar nicht. Wie ein Monolith ragt da das „Heyne SF-Jahr“ heraus, das dieses Jahr zum 20. Mal erschien. Seit letztem Jahr hat dieses Standard-Werk allerdings Konkurrenz bekommen durch das „Shayol Jahrbuch zur Science Fiction“. Durch eine gute Beitragsauswahl mit intelligenter Besetzung oder Ergänzung der Lücken des Heyne-SF Jahrs und einer hohen Qualität der Artikel konnte das Werk gleich viele Freunde gewinnen und erst mal die jährliche Erscheinungsweise als Periodikum sichern. Nun ist die zweite Ausgabe erschienen, wobei Gestaltung und Umfang im wesentlichen beibehalten wurden. Das 369 Seiten starke Werk besteht zu einer Hälfte aus Aufsätzen, die sich mit den verschiedenen Aspekten des Berichtsjahr 2004 auseinandersetzen und zur anderen Hälfte aus einer sorgfältig gestalteten, Vollständigkeit anstrebenden Bibliographie.

Statt allgemeiner Worte soll fast jeder der Artikel kurz beleuchtet werden:

Im Vorwort beklagen sich die Herausgeber Udo Klotz und Hans-Peter Neumann erstaunlich deutlich darüber, dass sie zu wenig detaillierte Kritik und Verbesserungsvorschläge zum letzten Jahrbuch bekommen hätten und kündigen an, auch in den nächsten Jahren die jeweiligen Erscheinungsländer für Literatur ausführlich zu würdigen, wobei Deutschland, England und USA die Pflicht wären, Russland eine Kür und der Rest sich turnusmäßig etwas abwechseln soll. Ein sicherlich begrüßenswertes Konzept, dazu gleich noch mehr.

Gleich beim Verfasser des Spitzenaufsatzes über die US-SF-Szene staunt man nicht schlecht, dies ist niemand geringerer, als der Shooting-Star Jeff VanderMeer, der mit seinen originellen und skurrilen Ideen die Fans seit einigen Jahren begeistert. Er stellt in zehn kurzen Seiten seine literarischen Jahreshighlights aus der Perspektive eines US-Autors und Kritikers vor und beleuchtet sechs Favoriten näher und nennt dann noch einige erwähnenswerte Bücher und Kurzgeschichtensammlungen.
Unmittelbar daran an schließt sich und soll hier gleich mitbehandelt werden ein ähnlicher Rückblick, der den gesamten angloamerikanischen Bereich einschließt und aus deutscher Perspektive von Hannes Riffel geschrieben ist. Dabei berichtet Riffel dankenswerter Weise nicht über deutsche Übersetzungen, sondern über die jeweiligen Originalausgaben, was dem Artikel eine erfreuliche Aktualität verleiht. Beide Artikel habe ich ob der großen Fähigkeit beider Autoren zu ordnender Kraft und klarem Urteil mit großem Genuss gelesen und teilweise zuckte die Hand unwillkürlich bereits zum Einkaufszettel. Ein Werk, das beide Autoren übereinstimmend hoch lobten, habe ich auch sofort bestellt: Die Fantasy-Duologie The Knight/The Wizard von Gene Wolfe, die von Riffel als ein modernes Meisterwerk bezeichnet wurde. Seit ich damals (ungefähr 1998) Riffels Rat gefolgt bin und mir das von ihm als Meisterwerk bezeichnete Epos „A Song of Ice and Fire“ von George R.R. Martin zugelegt habe, weiß ich sehr genau, dass Riffel mit dem Wort Meisterwerk nicht verschwenderisch umgeht und treffsicher urteilt. Da kann man mit den Wolfe-Büchern wohl nichts falsch machen.
Wichtig ist noch zu betonen, dass Überschneidungen in beiden Aufsätzen keinesfalls stören, sondern sich die Artikel ideal ergänzen, ich möchte deshalb vehement dafür plädieren, diesen Ansatz, das aus zwei Perspektiven präsentiert zu bekommen, beizubehalten.
Schön auch eine sog. „Buschtrommel-Sektion“ am Ende von Riffels Beitrag, die kurz umreißt, wann mit diesen Werken auf Deutsch zu rechnen ist und die ankündigt, dass die letzten beiden Bände von Stephensons Baroque-Zyklus erst 2006/2007 erscheinen, das oben genannte Werk von Gene Wolfe bei Klett/Cotta kommt, die ebenfalls weiter Tad Williams im Programm haben, so wie Bastei China Mieville.

Danach folgt dann ein Artikel der Herausgeber über SF in Deutschland, der erfreulich vollständig ausgefallen ist und wirklich sehr viel auflistet, was bei großen und kleinen Verlagen erschienen ist. Dem Wunsch, die Kleinverlage mehr zu beleuchten, wurde entsprochen, es ist nur bedauerlich, dass die beiden Autoren sich nach wie vor nicht trauen, auch mal deutlicher zu werten und sich, bis auf kleine Randbemerkungen, mit einer bloßen Aufzählung begnügen. Das ist sehr schade und sollte jetzt endlich geändert werden, denn das ist eine vertanene Chance. Oder fehlt den Autoren der Mut dazu?
Hochinteressant ist eine neue Klassifizierung für Kurzgeschichten, die am Ende des Aufsatzes präsentiert wird und die so naheliegend und gefällig ist, dass sie sich schnell durchsetzen dürfte. Dabei werden Kurzgeschichten in vier Klassen eingeteilt. „Profiklasse“ sind die Anthos der großen Verlage mit großen Namen und vielen Treffern, „Business Class“ sind die Veröffentlichungen in professionellen und semiprofessionellen Magazinen mit immer noch einer ordentlichen Ausbeute, in der „Economy Class“ sind die Anthos von Kleinverlagen genannt, wo die Trefferquote schon deutlich geringer ist und das, der Hinweis geschieht zu recht, oft zum gleichen Preis, und mit „Holzklasse“ wird das bezeichnet, was man in der Regel nur im Internet kostenlos findet und was aus gutem Grund von diesem Jahrbuch ignoriert werde. Nette Idee.

Dann gelangen wir zur Heftromansektion und zu gleich zwei Beiträgen zu Perry Rhodan. Während Bernhard Kempen im wesentlichen als Chronist tätig wird und schön auflistet, was im Rhodan-Universum alles publiziert wurde (bekanntlich eine ganze Menge) und passiert ist, wird das Rhodan-Jahr dann qualitativ von Rainer Stache beurteilt. An Staches Beitrag konnte ich mich prima reiben, denn unterschreiben davon konnte ich nicht eine einzige Zeile. Statt eine Abrechnung mit Feldhoffs grässlichen Expokraten-Angewohnheiten wie dem sinnlosen "Geheimnis- und Volk-der-Woche" abzurechnen, lobt Stache eine gewisse Langsamkeit des neuen Zyklus für alternde Perry- Leser. Dabei fällt ein etwas apodiktischer Tonfall in dem Aufsatz unangenehm auf, der auch dazu führt, dass Stache sich die umstrittene Autorenpersönlichkeit von Rainer Castor im Team nur so erklären kann, weil dieser gute Beziehungen zu den Autoren habe und halt der PR-Experte ist. Die Tatsache, dass die Romane von Castor einigen Lesern (wie mir) auch gefallen könnten, würde nicht in Staches Weltbild passen, dafür ist dieses zu hermetisch.
Aber, wer bin ich denn. Stache ist fast zwanzig Jahre älter als der Verfasser dieser Zeilen, hat sicherlich mehr PR-Leseerfahrungen und sogar über die Serie promoviert(!), was wohl zu der Schlussfolgerung führt, dass, wenn er damit zufrieden ist, nicht die Rhodan-Serie sich ändern muss, sondern ich mich.
Die Aufteilung der beiden Aufsätze (Chronik + Wertung) kann gerne so beibehalten werden, das hat sich bewährt.

Eine schöne Überraschung ist dann ein Artikel über Manfred Weinlands Serie "Bad Earth", denn dass auch solchen Serien jetzt mehr Raum eingeräumt wird, kann man nur begrüßen, denn serielle SF-Literatur ist ein weites Feld in Deutschland und die sekundärliterarische Beschäftigung damit wird meist so von Perry Rhodan dominiert, dass für andere Serien kein Raum mehr bleibt. Mehr in dieser Richtung ist für die nächsten Jahre bereits angekündigt, sehr schön!
Der Verfasser des Beitrags schreibt durchaus kenntnisreich und urteilt erfreulich klar (positiv wie negativ), kann nur manchmal nicht verleugnen, dass er, wie in der Vorstellung zu lesen ist, Rhodan-Rezensent ist. "Eigenwillige" (vornehm ausgedrückt) Zeilen wie die, dass Knutscherei in einem SF-Roman nichts zu suchen habe, können nur jemandem einfallen, der den einen PR-Roman in seinem Leben zu viel gelesen hat.

Hiernach folgt ein kurzer, persönlicher Rückblick von Franz Rottensteiner, der zwar seine große Erfahrung in die Waagschale werfen kann, der Artikel macht aber irgendwie keinen richtig zwingenden und umfassenden Eindruck und wirkt mehr wie ein Vignette. Das war aber vermutlich auch so angestrebt.

Dann kommt der ungewöhnliche Teil des Buches, wir begeben uns in durch strenge Westanbindung der SF-Fans eher selten behandelte Länder und können aktuelle Aufsätze über die SF in Polen, Russland, Bulgarien, Griechenland und aus den Niederlanden goutieren. Das ist auch durchaus begrüßenswert, wird jetzt sicherlich jeder SF-Fan sagen, denn man will sich ja nicht als bornierter nur US-SF-Leser outen. Ein Problem haben diese Artikel aber natürlich, weswegen ich mich zwar nicht gegen sie, aber gegen eine zu starke Ausweitung aussprechen möchte: Die Artikel lesen sich durchaus interessant und mit Genuss, sie sind aber leider dadurch, dass im wesentlichen über hermetische Märkte berichtet wird, eher von theoretischem Interesse für die meisten Fans. Da SF-Übersetzungen aus diesen Ländern äußerst selten sind (so schade das ist, es ist aber eine Tatsache) und wohl nur die wenigsten Fans die entsprechende Landessprache beherrschen, wird wohl kaum jemand, das ist der Unterschied zum angloamerikanischen Markt, jemals eines der dort abgehandelten Werke lesen können. Große Ausnahme: Die extrem erfolgreiche, russische „Nightwatch“-Trilogie, die es in Film und Buch auch nach Deutschland geschafft hat, wobei das Jahrbuch dann aber wieder an seine Grenzen stößt: Denn ein Bericht über russische Phantastik 2004 ohne „Nightwatch“ wäre absurd, andererseits ist das nun im strengen Sinne aber eher keine SF, sondern epischer Horror in der Richtung wie der Kinofilm „Underworld“.
Im Vorwort wird angekündigt, dass versucht wird, der Forderung nach Berichten über japanische SF nachzukommen, was sinnvoll wäre, denn:. Gerade durch Mangas (dazu unten mehr) sind japanische SF-Erzeugnisse bei uns wesentlich häufiger anzutreffen, als die Publikationen unmittelbarer Nachbarn wie Holland und Polen.

Danach folgen dann über 40 Seiten aus Alien Contact übernommene Buch-Rezensionen, die zwar qualitativ schwanken, insgesamt aber so gebündelt sehr schön und mit Gewinn zu lesen sind, gefolgt von weiteren zwanzig Seiten mit Rezensionen zur Phantastik aus Deutschland. Hier wäre vielleicht anzumerken, dass es natürlich verständlich ist, dass Shayol-Bücher in einem Shayol-Jahrbuch breiten Raum beanspruchen können (das macht Heyne in seinem SF-Jahr nicht anders), bei der Auswahl der Titel von Kleinverlagen aber eine noch breitere Streuung wünschenswert wäre und durch die Segmentierung der Szene auch andere Segmente etwas mehr Berücksichtigung finden könnten, als im wesentlichen nur die Schiene von Kleinverlagen, die personell oder in der programmatischen Ausrichtung dem herausgebenden Verlag nahe stehen.

Dann kommt eine sehr kurze Filmsektion und diese ist ganz klar der Ausfall in diesem Band, als unangenehme Parallele ähnlich wie im Heyne SF-Jahr.
Auf nur 6 Seiten wird sich auf die „wichtigsten Filme des Jahres“ beschränkt und die fünf besten SF-Filme nach Ansicht des Autoren Arno Behrend mit (teilweise Fremd-)Rezensionen vorgestellt. Ich kann das existenzielle Dilemma des Autoren ja verstehen, so viel „reine“ SF wird im Jahr gar nicht produziert, aus der man fünf Highlights herauspicken kann, das ist aber keine Entschuldigung für den Schock, gleich als erstes die völlig geistlose und misslungene Komödie „Die Frauen von Stepford (2004)“ präsentiert zu bekommen. Da liest man natürlich gleich gespannt die Rezension, ob der Film vielleicht versteckte Qualitäten besitzt, die man selbst bisher übersehen hatte, aber Fehlanzeige. Die zuständige Rezensentin geht sehr oberflächlich und unsensibel an den Film ran und stellt lediglich fest, dass man heutzutage als Frau auch über Feminismus lachen kann, sie scheint aber nicht im geringsten zu merken, oder es stört sie nicht, dass diesem Remake gegenüber dem Original jegliche (geistige) Schärfe ausgetrieben wurde, so dass man statt dem intelligenten und subtilen Witz der Vorlage ein grelles und strunzdummes Spektakel geboten bekommt. Angesichts solcher Rezensionen wundert dann die Wahl eines solchen Films unter die Top 5 eines Jahres nicht. Bei so einer Auswahl wird man weiß im Gesicht, genauso wie bei Formulierungen, dass das Remake von „The Manchurian Candidate“ eine Verbesserung gegenüber dem Original darstellt, zumal dieser Film, nach den später im Buch für die Bibliographie genannten Kriterien, streng genommen auch keine SF ist, sondern eher in den Bereich „Near Future“ oder politische Parabel/Satire gehört.
Da ist dann schon die Frage nach einer Existenzberechtigung dieser Sektion zu stellen, denn auch zu „The Butterfly Effect“ und „Die Unglaublichen“ will sich die gedankliche Verknüpfung zu der Überschrift „wichtigste Filme“ einfach nicht einstellen. Diese Sektion sollte dringend neu konzipiert oder gestrichen werden. So funktioniert das nicht.
Über Geschmack lässt sich natürlich streiten, in einem offensichtlich schwachen (den der Autor in der Überschrift als „stark“ bezeichnet!) SF-Jahrgang sollte dann aber im Hinterkopf behalten werden, dass auch die Alchemie bisher immer gescheitert ist und man nicht versuchen sollte, Müll oder Mittelmaß als Highlight zu präsentieren.

Nachdem Gerd Frey dann gewohnt kompetent Computerspiele vorstellt und man sich erneut fragt, ob dieser schnelllebige Markt sich für ein jährliches Periodikum eignet, folgen dann die üblichen, aber gerne gesehen und sorgfältig gestalteten Rubriken wie Nachrufe und Preise und dann die ausführliche Bibliographie der SF-Titel des Jahres 2004. Den Machern dieser Fleißarbeit kann man gerne einmal zurufen, dass es durchaus geschätzt wird, das Jahr so geordnet präsentiert zu bekommen und man gerne immer mal wieder darin blättert und es für Informationsbeschaffungen heranzieht.

Soweit zu den einzelnen Artikeln. Das Buch liegt gut in der Hand und ist mit einer großen Menge schwarzweißer Buchcover auch schön illustriert.

Zu mäkeln gibt es wirklich nur sehr wenig, aber da die Herausgeber um Verbesserungsvorschläge so inständig gebeten haben:
Die kurzen Autorenportraits unten auf den jeweils ersten Seiten der Aufsätze könnten sich in Schrifttype und –größe noch etwas mehr vom Text absetzen, da wanderte mein Auge häufig falsch.
Dringend vermisst werden zwei Comic-Sektionen, eine für westliche SF-Comics, und eine für Mangas. Insbesondere letzteres ist aufgrund des großen Marktanteils dieser Publikationen in Deutschland unverzichtbar.
Die Filmsektion sollte völlig neu überdacht werden und im Zweifel lieber entfallen, wenn sie ansonsten zu umfangreich werden würde, obwohl ein richtiger Artikel über die SF-Highlights des Jahres in Kino und TV (und Animes, die man ruhig gesondert behandeln sollte, da es hier viele lohnenswerte SF-Vertreter jedes Jahr gibt) sich sicherlich anbieten würde, gerade weil man sich von der großen Qualitätslücke in diesem Bereich in der Konkurrenz im Heyne SF-Jahr positiv absetzen könnte.


Was bleibt als Fazit dieser Begegnung?
Wieder ein sehr gelungenes und bereits längst unverzichtbares Periodikum, das kaum Wünsche offen lässt.

Trotz kleinerer Mängel: Ich zieh die zehn.

hinzugefügt: June 24th 2005
Tester: Oliver Naujoks
Punkte:
zugehöriger Link: Beschreibung des Buchs auf der Verlagsseite
Hits: 3775
Sprache: german

  

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