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Dick, Philip K.: Das Orakel vom Berge (Buch)

Philip K. Dick
Das Orakel vom Berge
(The Man in the High Castle, 1962)
Deutsche Übersetzung von Norbert Stöbe
Mit einem Nachwort von Kim Stanley Robinson
Heyne. 2008, Taschenbuch, 350 Seiten, 9,95 EUR, ISBN 978-3-453-52272-5

Von Gunther Barnewald

Dicks Roman erschien bereits in der großen Jubiläumsedition des Heyne Verlags im Jahr 2000 unter der SF-Reihen-Nummer 06/8203 und der ISBN 3-453-16411-3.
Die hier vorliegenden Ausgabe ist mit dieser fast identisch, lediglich eine Anpassung an die neue Rechtschreibung verändert den Text, was jedoch weniger schwer wiegt, als die fatale Tatsache, dass man die zwei Kapitel einer von Philip K. Dick geplanten aber nie geschriebenen Fortsetzung weggelassen hat, welche die Ausgabe von 2000 noch aufzuweisen hatte. Dies ist sehr schade, konnte man an ihnen doch gut ablesen, wohin eine Fortsetzung möglicherweise geführt hätte.
„Das Orakel vom Berge erschien“ 1963 beim inzwischen vergessenen König Verlag erstmals in Deutsch, dann ab 1980 erstmals ungekürzt in verschiedenen Ausgaben im Bastei-Lübbe Verlag. Die hier vorliegende Version ist die Neuübersetzung des Jahres 2000 von Norbert Stöbe.

Der Autor Philip K. Dick (1928-1982) ist innerhalb des Genres der SF so etwas wie eine Legende und genießt bei einige Fans Kultstatus, was manchmal zu einer etwas unkritischen Würdigung seines Werks führt.
Tatsache ist, dass Dick ein begnadeter Ideenautor und Geschichtenerzähler, aber nur ein mäßiger Stilist und vor allem leider auch oft ein lausiger Charakterzeichner war, was meist dazu führte, dass seine Kurzgeschichten durchweg genial und auch heute noch verblüffend daherkommen, man seinen längeren Texten aber fast durchweg eine gewisse Unbeholfenheit anmerkt (einzige Ausnahme hier möglicherweise sein wohl bester Roman „Ubik“, in dem dies wegen des faszinierend bearbeiteten Themas kaum auffällt).
Während (außer vielleicht Robert Sheckley) kein anderer Phantastik-Autor dermaßen viele fast durchgängig hochklassige Kurzgeschichten geschrieben hat wie Dick, sind seine Schwächen bei längeren Texten auch bei dem vorliegenden Roman evident.

Die überaus faszinierende Geschichte, die von der Prämisse ausgeht, die Alliierten hätten den 2. Weltkrieg verloren und die Achsenmächte seien Sieger, die USA sei zur Hälfte von den Nazis und zur anderen von den Japanern besetzt, entfaltet auch heute noch beim Leser Gänsehaut. Hätte ein besserer Stilist, der in der Lage ist, glaubhafte dreidimensionale Charaktere zu entwickeln, dieses Buch geschrieben, könnte man sicherlich von einem absoluten Meisterwerk sprechen. So wird man als Leser mit den Protagonisten nie so richtig warm, die Gänsehaut bleibt oberflächlich und keinesfalls vermag Dick, bei aller Faszination, den Leser wirklich mit Haut und Haaren zu packen und zu emotionalisieren. Genau auf dieser Ebene liegt die Schwäche des ansonsten interessanten und durchgängig lesenswerten Romans.
Anders als Dicks heute unbekannter österreichischer Schriftstellerkollege Otto Basil, der die Nazi-Zeit voll bewusst am eigenen Leib miterleben musste und dies in seiner ätzenden utopischen Satire „Wenn das der Führer wüsste“ mit ungeheurer Wucht und viel Verve verarbeitet hat, gelingt Dick bei aller Mühe und großem Arbeitsaufwand nur ein oberflächlicher Blick auf Kulissen. Wo Basil mit kräftigem Pinselstrich den ganzen irrationalen Wahnsinn der Nationalsozialisten in all seinen Widerwärtigkeiten entblößt, da ist Philip K. Dick manchmal einfach zu beschäftigt mit seinem psychotischen Lieblingsthema: Was ist Realität?

Dies lässt der eigentlichen Handlung dann manchmal zu wenig Raum und kaum ist man als Leser in die Hölle einer von Nazis besetzten USA herabgestiegen und glaubt dem Autor seine Albtraumvision, da beginnt die Realität schon wieder zu zerfließen und man fragt sich, ob all die Angst, das Leid, der Schmerz, die Unmenschlichkeit und der bestehende Wahnsinn nicht alles nur die Psychose eines Geisteskranken ist.

Damit nimmt sich der Autor leider die Möglichkeit, sowohl seine Protagonisten lebendiger zu machen als auch den Leser richtig zu packen und zu emotionalisieren. Bedenkt man dies, so muss man dem Autor attestieren, diesmal sogar (für seine Verhältnisse) recht lebendige und glaubhafte Protagonisten erschaffen zu haben. Ebenfalls recht überzeugend ist die Atmosphäre in den von den Nazis bzw. den Japanern besetzten USA.

Dies zeigt, dass Dick ein geschickter (wenn auch kein in allen Bereichen hochklassiger) Erzähler ist, der auf seine Art den Leser auf eine faszinierende Reise mitzunehmen in der Lage ist.
Der Verzicht auf Klischees und Happy End versöhnen den aufgeschlossenen Leser dann wieder vollständig mit dem vorliegenden Buch.
Bemerkenswert auch das 1962 noch ungewöhnliche Sujet einer Welt, in der die Achsenmächte den 2. Weltkrieg gewonnen haben, denn zu dieser Zeit gab es nur ganz wenige Autoren, die sich bis dato mit diesem Thema auseinander gesetzt hatten.

„Das Orakel vom Berge“ ist auch heute noch ein gutes und empfehlenswertes Buch, wenn es auch zum großen Meisterwerk leider nicht langt. (Wenn ein Roman von Dick diesen Titel bekommen sollte, dann wohl eher „Ubik“.)
Aber das vorliegende Werk gehört zweifellos zu den besten längeren Texten des Autors, der durch einige Hollywood-Verfilmungen in den letzten ca. 10 Jahren, aber auch durch Ridley Scotts „The Blade Runner“ von 1982, mittlerweile auch außerhalb des Genres zunehmende Bekanntheit erlangt hat (war er früher doch nur Genrelesern wirklich ein Begriff).

Traurig nur, dass die vorliegende Ausgabe nicht mehr jene zwei Kapitel enthält, die Teil einer geplanten aber nie realisierten Fortsetzung sind und aus des Autors Feder stammen. Sie waren in der „Heyne-Erstausgabe“ von 2000 noch vorhanden. Wer kann, sollte sich deshalb besser diese Ausgabe besorgen.

hinzugefügt: August 11th 2008
Tester: Gunther Barnewald
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zugehöriger Link: Heyne
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