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Invisibles Monster Edition 1 (Comic)

Invisibles Monster Edition 1
Revolution gefällig?
(Say You Want a Revolution)
Autor: Grant Morrison
Zeichner: Steve Yeowell, Jill Thompson, Chris Weston, John Ridgway, Steve Parkhouse
Tusche: Steve Yeowell, Dennis Cramer, Chris Weston, John Ridgway, Steve Parkhouse
Farbe: Daniel Vozzo
Übersetzung: Gerlinde Althoff
Lettering: Alessandro Benedetti
Panini, 2008, Paperback, 324 Seiten, 28,00 EUR, ISBN 978-3-86607-571-9

Von Frank Drehmel

Mit der „Invisibles Monster Edition Band 1“ bietet der Panini-Verlag dem Leser ein schweres Stück Unterhaltung. Das umfangreiche Tradepaperback enthält die ersten zwölf Ausgaben der 1994er-Vertigo-Serie in der gewohnt gelungenen Übersetzung Gerlinde Althoffs:


„Tote Beatles” („Dead Beatles”)
Dieser erste Teil ist ein Prolog für die beiden folgenden größeren Handlungsbögen: Die Rebellion des jungen, intelligenten Dane McGowans gegen „das System” - eine Schule, die ihn mit ihren stereotypen Fragen langweilt, und eine Mutter, der der nächste Liebhaber wichtiger ist als ihr eigener Sohn - äußerst sich in Gewalt, Zerstörung und Raub.
Sein rücksichtsloser Weg endet zunächst in einer Umerziehungsanstalt für jugendliche Verbrecher, Harmony House. Schnell findet Dane heraus, dass hier, verborgen hinter meterhohen Elektrozäunen und Stacheldraht, Seltsames vorgeht. Aus heute noch aufrührerischen Mitgefangenen werden am nächsten Tag antriebslose, lammfromme Menschen. Im allerletzten Moment rettet ein seltsamer Fremder, der sich King Mob nennt, Dane vor den ebenfalls seltsamen Kreaturen, die über Harmony House herrschen.

„Fix und Fertig in Himmel und Hölle” Teil 1 - 3; („Down and Out in Heaven and Hell” Part 1 - 3)
Dane McGowan lebt mittlerweile mittel- und obdachlos auf der Straße; seine jugendliche Überheblichkeit ist Resignation gewichen. King Mob jedoch hat es noch nicht aufgegeben, den Jungen für die Invisibles zu rekrutieren. Allerdings bedarf es harter Arbeit, den Panzer aus Ablehnung und Egoismus zu zerbrechen, den Dane um sich gebildet hat. Der alte Tom, ein anscheinend verrückter Stadtstreicher, soll Dane an die Grenzen seiner und der der Realität führen. Daher erzählt der verrückte Mann dem Jungen von den Geheimnissen der Städte und von einem uralten Krieg, er warnt ihn vor jenen Jägern, die ihresgleichen zur Jagdbeute erkoren haben und schlussendlich springen beiden vom silbernen Turm, denn im Tod liegt die letzte Erkenntnis.
„Arkadien“ (Teil 1 - 4); („Arcadia“ Part 1 - 4)
Unter einem neuen Namen, Jack Frost, gehört Dane McGowan nun zu den Invisibles. Unter King Mobs Leitung reist die Gruppe in Form „psychischer Konstrukte” zurück in die französische Vergangenheit, in die Zeit der französischen Revolution, um den Kopf von Johannes dem Täufer, der prophetische Fähigkeiten besitzen soll, in Rennes-Le-Chateau vor den Agenten der Gegenseite, den Myrmidonen, zu bergen. Während das Team in der Vergangenheit durch ein entfesseltes, hinrichtungsenthemmtes Frankreich reist und dabei quasi en passant den Marquis de Sade einsammelt, sind die Körper der Reisenden in der Gegenwart dem im Auftrag der Gegenseite operierenden Serienkiller Orlando ausgeliefert. Lediglich Dane und Lord Fanny gelingt die rechtzeitige Rückkehr, sodass die beiden ungleichen Gefährten - der unerfahrene Junge und der Transvestit - einer Wesenheit gegenüberstehen, die fast unsterblich ist.

Den Abschluss des Tradepaperbacks bilden vier kürzere, mehr oder weniger abgeschlossene Storys – „23: Dinge, die zerfallen“ („23: Things Fall Apart“), „Zeit der Ghule“ („Season of Ghuls“), „Monster Royal“ („Royal Monsters“) , „Die Besten fallen“ („Best Man Fall“) -, welche dem Universum der Invisibles mehr Substanz verleihen.


Folgt man dem Vorwort von Peter Milligan, dann stecken Morrisons „Invisible“-Storys voller Metaphorik, die ergründet sein will, damit sich über den Leser ein wahres Füllhorn der Erkenntnis und üppiger Vielfalt entleert. Nun ja, der Schreiber wird schon Recht haben (auch wenn das Vorwort äußerst beliebig, unspezifisch daherkommt), denn schließlich hat Milligan ja qua Beruf(ung) eine Antenne für eher surreale Geschichten.
Ich als durchschnittlich gebildeter Kontinentaleuropäer finde nicht immer Zugang zu Morrisons Gedanken bzw. sehe mich das eine oder andere Mal außerstande, die Intention hinter einzelnen Bildern, Szenen und Zusammenhängen zu evaluieren. Dabei ist das Nicht-Verstehen sicher keine Funktion der Zeit oder der Wiederholungszahl der vergeblichen Versuche des Durchdringens des - wie es Milligan treffend bezeichnete - Weißen Rauschens von Morrisons Geschichten.
Ein bisschen de Sade, gewürzt mit Shelley, angereichert mit Southey, Coleridge und Byron, garniert mit einem Hauch Kropotkin. Gereicht wird dazu ein dicker Porridgei aus Nonkonformismus, Subversion, Esoterik und Paranoia. Zweifellos geizt Morrison nicht mit großen Namen und Ideen - Anklänge an Kubricks „Uhrwerk Orange” oder Wilsons und Sheas „Illuminatus”-Trilogie mögen nicht ganz zufällig sein -, und wenn man lange genug in kontemplativer Versunkenheit über den Bildern meditiert, mag sogar die eine oder andere Erleuchtung die geistige Dunkelheit vertreiben - ob von Morrison nun beabsichtigt oder nicht. Insgesamt jedoch empfinde ich gerade die zahlreichen „literarischen” Zwischenspiele, Reminiszenzen und Verweise als eher verschleiernd denn erhellend und wünschte mir eine klarere Struktur, mehr Stringenz und - gerade im „Arkadien“-Part - deutlichere Worte, denn der Grundansatz - das Philosophieren über das Verhältnis von Individuum zum „System”, von Freiheit zu gesellschaftlicher Verantwortung, ein mögliches Utopia - verdiente eine offenere und meines Erachtens inhaltlich radikalere, weniger subversive Herangehensweise.

Als rundum gelungen kann die Charakterisierung Dane McGowans angesehen werden. In ihm manifestieren sich - euphemistisch ausgedrückt - eine anarchistische Ungestümheit der Jugend sowie das konsequente - weil gewalttätig-angstlose -, wütende und z. T. irrationale Aufbegehren gegen jene Konventionen, die seine Eltern als Repräsentanten des Systems etabliert haben. In Dane werden sich die meisten der zur Selbstreflextion fähigen Leser zumindest zum Teil wiederfinden. Zugleich ist Dane aber ein Charakter, der wächst, der reift, der zur Einsicht in die Lehren der Anderen aus sich heraus fähig ist, ohne seine Wut, seine raues Wesen zu verleugnen. Der junge McGowan wirkt niemals wirklich sympathisch, aber immer durch und durch authentisch und das ist selbst für Vertigo-Maßstäbe schon etwas Besonderes.
Die übrigen Invisibles - Ragged Robin, Boy, King Mob, Lord Fanny - wirken in ihrer androgynen Unbestimmtheit deutlich künstlicher, sind aber nichtsdestotrotz immer noch interessante Charaktere.

Zum Artwork sollte ich, bevor ich mich in Rage schreibe, besser nicht allzu viel Worte verlieren. Steve Yeowells und Jill Thompsons grafische Beiträge sind visuell todlangweilige, kontrastarme Nullachtfünfzehn-Ware, ohne das Feuer, ohne die Ideen und Details, die das Auge zum Betrachten einladen. Hinzu kommt, dass Thompsons Gespür für Proportionen und Gesichter zeitweise außer Kraft gesetzt zu sein scheint. Ein wohlwollender Mensch mag die verzerrte Darstellung als Stilmittel identifizieren, ich jedoch führe sie auf unsauberes Arbeiten zurück.
Es scheint - Paranoia ick hör dir trapsen -, die Verantwortlichen und Morrison haben zu Beginn der Serie mit Bedacht Künstler gewählt, deren kreativer und vor allem - positiver - Beitrag zum Gesamtkunstwerk „Invisibles” im Vergleich zu dem des Autors verschwindend gering ist, auf dass nichts den Ruhm des großen Morrison schmälere. Damit haben sie zweifellos Erfolg gehabt, denn niemand wird ernsthaft von Morrisons und Yeowells - oder Thompsons - „Invisibles” sprechen.
Zwei der drei verbleibenden Künstler, Chris Weston, John Ridgway, mögen zwar nicht zur Creme de la Creme der Comic-Zeichner-Garde gehören, aber wenigstens wirken ihre Panels und Figuren lebendig, kontrastreich.

Die Aufmachung des Tradepaperbacks ist gerade noch akzeptabel, auch wenn sich das Preis-Leistungsverhältnis meines Erachtens als schwach erweist. Insbesondere das einfache Papier und der nicht immer ganz satte Druck strahlen einen gewissen trashigen, anachronistischen, nonkonformistischen Charme aus. Unschön allerdings ist, dass sich der deutliche zu dünne Pappeinband schon nach kurzer Zeit nach außen zu biegen beginnt und auch ansonsten alles andere als „robust” ist.
Kein Verständnis habe ich dafür, dass die dem gesamten TPB vorangestellten „Credits” eklatant unvollständig und sachlich falsch sind. So fehlen Chris Weston, John Ridgway, Steve Parkhouse völlig, während Tuscher Dennis Cramer als Zeichner angeführt wird. Zwar werden die Namen später innerhalb des Comics an den entsprechenden Stellen korrekt genannt, dennoch hinterlässt das Ganze einen dilettantischen, lieblosen Eindruck.

Fazit: Eine komplexe Story, subversive Botschaften und ein unterdurchschnittliches Artwork machen diesen ersten „Invisible“-Band zu einer Empfehlung für erwachsene Leser, die gleichermaßen mit Toleranz und Geduld gesegnet sind.

hinzugefügt: July 25th 2008
Tester: Frank Drehmel
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