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Mommers, Helmuth W. (Hrsg.): Der Moloch und andere Visionen - Visionen 4 (Buch)

Helmut W. Mommers (Hrsg.)
Der Moloch und andere Visionen
Visionen 4
Shayol Verlag, 2007, Paperback, 352 Seiten, 14,90 EUR, ISBN 978-3-926126-74-0

Von Carsten Kuhr

Seit nunmehr vier Jahren erscheinen im umtriebigen Shayol Verlag die „Visionen“-Anthologien. Eigentlich sind diese Bände, die sich ganz der Pflege der phantastischen Kurzgeschichte verpflichtet haben, aus den jährlichen Veröffentlichungen nicht mehr wegzudenken. Über die Jahre hat Helmuth W. Mommers, auch und insbesondere durch großen persönlichen Einsatz, dafür gesorgt, dass eine von den Großverlagen zwischenzeitlich fast gänzlich ignorierte Sparte der Genreliteratur einen festen Hafen fand, in dem sie sich dem interessierten Publikum präsentieren konnte.
Wer Helmuth einmal persönlich erleben konnte, der weiß, mit wie viel Enthusiasmus und Herzblut der Herausgeber hier eine Lanze für die pointierte, kurze Story brach.

Um so dramatischer, dass vorliegender vierter Band das letzte Buch der kleinen, aber so wohlfeilen Reihe darstellt.

Statt eines Vorworts erwartet uns ein Nachruf auf die „Visionen“, ein Abgesang, der der gebotenen Qualität der Kurzgeschichten zum Trotz von den wirtschaftlichen Problemen kündet, mit denen die Reihe zu kämpfen hat.
Fast alles, was Rang und Namen hat, war in den „Visionen“ vertreten, die Geschichten heimsten eine Vielzahl von Auszeichnungen ein, doch die Käufer, sie griffen leider nicht in ausreichender Zahl zu ihrem Geldbeutel. Und so muss auch ein immer noch kämpferischer Helmuth W. Mommers zunächst einmal die Waffen strecken, muss im Einvernehmen mit dem Verlag die Reihe einstellen.

Doch, wie nicht anders zu erwarten geht er mit einem Paukenschlag in den vorläufigen Ruhestand.

Erneut hat er es, auch durch seine persönlichen Kontakte geschafft, die Creme de la Creme der deutschsprachigen Autoren zu einer Mitarbeit zu bewegen, und dem Leser einen bunten Strauß unterschiedlichster, jedoch allemal qualitativ hochwertiger Geschichten vorzulegen.


Inhaltlich bietet der Band alles, was des Lesers Herz erfreut.
Geschichten über düstere Utopien, über skrupellose Machenschaften, über Abenteurer und Cops, über Lokomotiv-Bauer und virtuelle Ex-Menschen, Cyber-Space, Seuchen und Plagen, Sex und Crime – immer verpackt in eine faszinierende, pointierte Fassung.

Mit persönlich hat Marcus Hammerschmidts „Die Lokomotive“ am besten gefallen. Hammerschmidt berichtet uns in dem umfangmäßig eher einer Novelle als einer Kurzgeschichte ähnelnden Text von einer kleinen Insel südlich von Chile. Hier haben politische Aussteiger ihre sozialistische Vision eines Staates verwirklicht. Bewusst hat man die technische Entwicklung auf einen Stand um 1900 begrenzt, arbeiten die Kombinate und Kolchosen zum Wohle aller. In dieser Welt des Konformalismus bestimmt der Chef und die Parteiführung, dass eine neue Dampflokomotive gebaut werden muss. Sie soll besser sein, als alles, was es in dieser Hinsicht bislang gab, und sie soll bis zum Jahrestag der Gründung von Ladania fertig sein. Ausgerechnet Josefo, ein Hochstapler, wird mit dem Prestigeprojekt betraut und kämpft fortan gegen Windmühlenflügel. Trotz aller Widerstände, trotz der Opfer, die er persönlich für das Gelingen bringen muss, geht das Projekt voran – doch dann meldet sich die staatliche Sicherheit ...

Gerade weil Hammerschmidt unspektakulär erzählt, weil es keine großen Actionszenen, keine Verfolgungsjagden gibt, wirkt die Erzählung auf mich so intensiv. Hier agieren Menschen mit verständlichen Problemen, mit Träumen und Wünschen.
Dies ist auch ein Blick zurück auf eine Gesellschaftsform, die es abgesehen von Kuba vielleicht heute nicht mehr gibt. Mit durchaus kritischem Auge beleuchtet der Autor die Schwierigkeiten, mit denen eine kommunistische Gesellschaft zu kämpfen hat, zeigt auf, dass letztlich die hehre Vision an persönlicher Geltungssucht und Egoismus scheitert. Dabei vergisst er es aber nicht, seine Leser anspruchsvoll zu unterhalten, uns mit wenigen Sätzen Menschen und deren Motive begreiflich und nachvollziehbar zu machen.

In diesem Sinne steht diese exemplarische Geschichte auch für all die vielen Erzählungen, die in den vier erschienen Büchern auf den Leser warten. Sie alle bieten neben der kurzweiligen Unterhaltung auch eine Aussage, sind handwerklich solide und ihren Obolus allemal wert. Lassen Sie uns darum hoffen, dass die „Visionen“-Reihe bald einen neuen Hafen findet, in den sie einlaufen kann.

hinzugefügt: November 2nd 2007
Tester: Carsten Kuhr
Punkte:
zugehöriger Link: Homepage zur Reihe
Hits: 2566
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