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Moorcock, Michael: I. N. R. I. oder die Reise mit der Zeitmaschine (Buch)

Michael Moorcock
I. N. R. I. oder die Reise mit der Zeitmaschine
(Behold the Man, 1969)
Neu aus dem Englischen übersetzt von Jürgen Langowski
Piper Verlag, 2007, Taschenbuch, 192 Seiten, 7,95 EUR, ISBN 978-3-492-28618-3

Von Gunther Barnewald

Die vorliegende Novelle (hier durch großzügige Schrift und leere Seiten auf 186 Seiten aufgebläht) ist das Skandalwerk der britischen New Wave und greift blasphemisch alles an, was christlichen Fanatikern (auch heute noch) heilig sein kann.

Erzählt wird in kurzen, immer wieder in die eigentlich Handlung eingefügten Episoden, die Lebensgeschichte des jungen Juden Karl Glogauer, der unglücklich und orientierungslos in England aufwächst. Einsam, ohne Freunde und familiäre Unterstützung muss Glogauer viele Demütigungen und verwirrende Erfahrungen (z. B. sexuellen Missbrauch) über sich ergehen lassen, irrt ziellos durchs Leben, bis er schließlich sein Herz an verschiedene religiöse Bewegungen hängt. Als er eines Tages einen ebenso verrückten wie genialen Erfinder kennen lernt, der ihm eine Reise als Versuchsobjekt in einer gerade neu konstruierten Zeitmaschine anbietet, sagt Glogauer nach kurzem Zögern zu, unter der Bedingung, die Zielzeit und den Ankunftsort selbst bestimmen zu können.
Und so reist Glogauer in den Nahen Osten zur Zeit von Jesus Christus, um diesen kennen zu lernen, was den eigentlichen Handlungsstrang darstellt. Entsetzt muss er jedoch feststellen, dass Jesus ein schwachsinniger Idiot, seine Mutter ein Hure, die ihm sofort den Beischlaf anbietet, und Josef ein armer, willensschwacher Zimmermann ist. Glogauer beschließt, die historischen Ereignisse selbst in die Hand zu nehmen. Immerhin hat er genug aus dem Neuen Testament gelesen, um zu wissen, was auf ihn zukommt, wie er handeln muss und an wen und wohin er sich wenden sollte. So nimmt die „bekannte“ Historie ihren Lauf und Glogauer findet seine Lebensaufgabe darin, einen Mythos zu kreieren und etwas „Bleibendes“ zu schaffen...bis zum bitteren Ende.


Im Nachwort der aktuellen Ausgabe weist Carsten Polzin völlig zu recht darauf hin, dass Moorcock einen weiteren Roman geschrieben hat, der Glogauers Geschichte relativiert. Im 1971 erschienen Roman „Breakfast in the Ruin“s (meiner Kenntnis nach noch nicht in Deutsch erschienen) lässt der Autor seinen Protagonisten nämlich erneut auftreten und in verschiedene berühmte Persönlichkeiten schlüpfen, wobei sich zeigt, dass Glogauer an eine halluzinatorischen wahnhaften Erkrankung leidet. Diese Psychose gaukelt ihm seine Abenteuer nur vor, Glogauer ist also kein wirklicher Zeitreisender, die von ihm wahrgenommenen historischen Fakten sind somit auch keine, sondern nur Einbildungen eines erkrankten Hirns.

Abseits dieser entschärfenden Relativierung war und ist die vorliegende Novelle noch immer ein zutiefst verstörendes Werk, wenn man ernsthaft an die christliche Religion und ihre Vorgaben glaubt. Ein ähnliches Werk mit islamischem Hintergrund hätte zweifellos das Todesurteil für seinen Autor bedeutet.
Glücklicherweise haben Aufklärung und das Zurückdrängen religiösen Einflusses in unserer Gesellschaft dafür gesorgt, dass Moorcock noch am Leben ist bzw. sich trauen konnte, diese Werk zu verfassen.

Leider erweist sich „I. N. R. I.“ nicht gerade als literarisches Meisterwerk, stellt auch als Unterhaltungswerk ein eher leidlich amüsantes Buch dar. Trotz des Autors Bemühen, Glogauers Motivation heraus zu arbeiten, bleibt der Protagonist erstaunlich blass. Als Leser mag man sich weder mit ihm identifizieren, noch Mitleid mit ihm aufzubringen. Dies mag vor allem an der fehlenden Gefühlswelt Glogauers liegen, dem zwar viel Unangenehmes zustößt, der aber innerlich nicht wirklich zu fühlen, leiden und reflektieren scheint. Noch schwächer ist Moorcock nur die historische Komponente seiner Geschichte gelungen, ist sie doch kaum vorhanden. Als Leser gewinnt man den Eindruck, der Autor habe ebenfalls nur das Neue Testament für sein Quellenstudium genutzt, sonst nichts. Historische Details: Fehlanzeige.

Insgesamt ist die vorliegende Novelle, abgesehen von den für „überzeugte (oder gar wiedergeborene) Christen“ Schockeffekten, die jeden Agnostiker, der etwas gegen das Christentum einzuwenden hat, erfreuen, ein arg enttäuschendes Werk, daran ändert auch die sprachlich flüssige Neuübersetzung nichts.

Interessant ist die deutsche Publikationsgeschichte der vorliegenden Novelle, die zuerst 1972 im Marion von Schröder Verlag in der Übersetzung von Alfred Scholz erschien, 1974 als Heyne SF-Taschenbuch 3399 herauskam, 1987 als Heyne Bibliotheksband 63 erneut aufgelegt wurde und nun, erstmals in neuer, deutlich lesbarerer Übersetzung, bei Piper erscheint.

hinzugefügt: March 1st 2007
Tester: Gunther Barnewald
Punkte:
zugehöriger Link: Piper Verlag
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