INTERVIEW MIT DIETER VON REEKEN!
Datum: Sunday, 10.April. @ 07:00:00 CEST
Thema: Interview



Dieter von Reeken hat sich seit Anfang der 1960er Jahre in seiner Freizeit mit wechselnder Intensität mit SF, insbesondere deutschsprachiger SF beschäftigt. Seit seinem Eintritt in den einstweiligen Ruhestand hat er sein Hobby weiter intensiviert und legt unter dem Signet »DvR« Nachdrucke zu Unrecht vergessener und auch antiquarisch kaum noch zu findender Perlen der deutschsprachigen Zukunftsliteratur und Sekundärwerke im eigenen Verlag auf.
Carsten Kuhr sprach für phantastik.de mit dem umtriebigen Sammler und Herausgeber.

Hallo Dieter. Kannst Du Dich unseren Lesern zunächst einmal ganz kurz selbst vorstellen?

Ja, gern: Geboren wurde ich 1948 in Oldenburg (Oldb.). Nach Schulbesuch in Oldenburg und Hannover und Studium in Hannover und Bremen (Rechtswissenschaften) war ich als Verwaltungsjurist im niedersächsischen Landesdienst (Oldenburg, Hannover, Stade, Lüneburg) tätig, und zwar zuletzt (bis Ende 2004) als Leiter des Dezernats "Soziales, Flüchtlinge, Frauenförderung" bei der Bezirksregierung Lüneburg. Im Rahmen der niedersächsischen Verwaltungsreform wurden die vier niedersächsischen Bezirksregierungen aufgelöst. (Dies war ein Schritt, weg vom bisher für Flächenländer als unverzichtbar angesehenen "klassischen preußischen" dreistufigen Verwaltungsaufbau, der nicht unumstritten war und ist und sich nun bewähren muss.) Als Folge dieser Behördenauflösung bin ich in den sogenannten einstweiligen Ruhestand versetzt worden. Seit Januar 2005 muss und kann ich meine Zeit also selbst gestalten, was ich in der oben beschriebenen Weise ("Books on Demand") tue. Ach ja, ich bin verheiratet mit einer Sozialarbeiterin und habe zwei erwachsene Kinder (Sohn und Tochter), die beide noch in einer Fachausbildung sind bzw. studieren.

Wie - durch welches Werk - kamst Du überhaupt zu SF, und was weckte dann Dein spezielles Interesse gerade an deutschsprachiger Utopien und Zukunftsromanen?

Nicht durch "Perry Rhodan", obwohl ich die ersten hundert Hefte damals gern gelesen habe; meine erste Begegnung mit SF war, nach Jules Verne, mit 13 Jahren der Terra-Sonderband Nr. 2, "220 Tage im Weltraumschiff", von G. Martynow. Danach begeisterte mich "Verweht im Weltenraum" von K. H. Scheer und, zeitlich kurz davor oder danach, "UFO am Nachthimmel" von Clark Darlton. Mein größerer Bruder, der gern Fliegergeschichten las, hatte diese Hefte im Tausch erhalten und mir damit irgendwie "eine neue Welt" geöffnet, denn nun suchte ich gezielt nach Zukunftsromanen und entdeckte nach und nach nicht nur immer mehr alte und neue Heftromane, eben auch "Perry Rhodan", sondern auch Bücher und Taschenbücher der Verlage Gebr. Weiß und Heyne. Über entsprechende Anzeigen in "Utopia-Großbänden" kam ich dann auch zu Transgalaxis (noch zu Heinz Bingenheimers Zeit) und zum SFCD, wo sich besonders Dieter Steinseifer meiner annahm. Die alten deutschen Utopien habe ich, nach weiteren Romanen von Verne und H. G. Wells, erst später "entdeckt", besondern "Auf zwei Planeten" von Kurd Lasswitz. Später fand ich dann durch eine Bekannte meiner Eltern in der damaligen DDR den Weg zu den Werken von Stanislaw Lem, was ich als Gewinn angesehen habe, ebenso wie die nachträglich gekauften 15 Bände "Galaxis"; die gab es um 1964 noch komplett beim Moewig-Verlag.

Du hast Dich seit Jahrzehnten mit diesem Bereich intensiv beschäftigt. da ist sicherlich einiges Zusammengekommen. Wie groß ist Deine Sammlung mittlerweile, was für besondere Schätze nennst Du alle Dein eigen, und was fehlt noch?

Es ist leider so, dass meine "Sammlungen" im Lauf mehrerer Umzüge wie Ebbe und Flut Wandlungen durchgemacht haben. In den letzten 25 Jahren stand neben dem Beruf auch die Familie im Vordergrund, auch andere Literatur fand ihr Recht (Sachbücher, Karl Mays Originaltexte …). Ich habe u. a. fast sämtliche Werke von Verne, einige von Wells, mehrere Bücher von Albert Daiber — am innigsten ist mein Verhältnis allerdings zu den alten Heftromanen der 1950er Jahre, die ich teilweise aufbewahrt, teilweise antiquarisch nachbesorgt habe. Richtige Schätze sind eigentlich nicht darunter, wohl aber Exemplare, die nostalgische Gefühle aufkommen lassen …

Was von den alten Sachen liest Du selbst auch heute noch gerne - ist die Zeit an manchen Texten vorbeigegangen, verzaubern die Romane und Geschichten auch heute noch?

Die alten Utopien, die ich jetzt nach und nach neu herausbringe, habe ich eigentlich erst sehr spät entdeckt. In technisch-naturwissenschaftlicher Hinsicht ist die Zeit über viele Werke hinweg gegangen, aber vielfach sind es die Charaktere, in denen sich die Verfasser und ihre Zeit, oder vielmehr ihre Sichtweise ihrer Zeit, spiegeln. Der Blick in die Zukunft oder die Reise auf einen anderen bewohnten Planeten war doch überwiegend eine Reaktion auf die damalige Gegenwart und ihre erhoffte oder befürchtete Weiterentwicklung in die damalige Zukunft. Man kann diese Texte heute nicht mehr so lesen, wie man es damals konnte — es sei denn, es handelt sich um Abenteuer-Erzählungen, die zeitlos sind —, man kann über diese Texte aber Einblicke in die damaligen Verhältnisse, Gesinnungen und Stimmungen gewinnen und die damalige Zeit teilweise besser verstehen. Jules Vernes "Schuss“ zum Mond" ist ein falscher Weg, aber die Schilderung der Aktivitäten des "Kanonen-Clubs" als solche kann man immer noch gern verfolgen. An den alten deutschen utopisch-technischen Werken halte ich für bemerkenswert, dass sie sich zu ihrer Zeit teilweise aus Jules Vernes Schatten befreien konnten, aber nur in der Minderheit (Lasswitz!) die Zeiten überdauert haben. Dem möchte ich hier und da abhelfen.

Immer weniger Leser von heute können die altdeutsche Schrift, das sogenannte Fraktur noch lesen. War diese Tatsache der Auslöser für Dich darüber nachzudenken, herausragende Werke in neue Lettern zu setzen und dem Leser von heute damit wieder zugänglich zu machen?

Ja: ich selbst habe die Frakturschrift (und auch noch die alte deutsche Schreibschrift) gelernt und kann sie ohne besondere Mühe lesen. Diese Fähigkeit ist bei immer mehr nachwachsenden Menschen leider immer weniger vorhanden. Diese Barriere sollte nicht unterschätzt werden.

Nach welchen Kriterien suchst Du die Bücher für Deinen Verlag aus? Spielt es da nicht auch eine gewisse Rolle, ob die entsprechenden Rechte inzw. frei sind, denn ein Vermögen ist mit den knapp kalkulierten Büchern sicherlich nicht zu verdienen.

Ganz richtig, bisher habe ich finanziell nur zugesetzt. Ich bin aber immer noch zuversichtlich, dass im Lauf der nächsten Monate und Jahre die Kosten annähernd wieder hereinkommen. Vielleicht gibt es auch mal einen kleinen Überschuss, der dann als Teil einer "Mischkalkulation" den einen oder anderen finanziellen Flopp mittragen kann. Bei der Auswahl der Bücher folge ich in erster Linie meinen Neigungen, denn ich möchte mir selbst eine Freude machen, wenn es schon mein "Taschengeld" verschlingt, und daneben manchen Anregungen erfahrener Koryphäen. Dabei lege ich selbstverständlich Wert darauf, dass ich keine Urheberrechte verletze. Soweit ich die Inhaber bestehender Rechte (also in der Regel die Nachkommen der Verfasser) nicht ermitteln kann (das betrifft z. B. Hans Rosenstengels "Vom Mars zur Erde", 1925/1934) oder sie nicht zustimmen (das betrifft Rolf Strehls schönes Sammelbilder-Album "Fliegende Untertassen", um 1953/1955), muss ich eben verzichten. Für die Aufnahme der acht ganzseitigen Tonzeichnungen von Fritz Bergen in die beiden "Weltensegler"-Bände von Albert Daiber habe ich (aus meiner Sicht selbstverständlich) die erforderliche Einwilligung des Rechte-Inhabers eingeholt.

Du überträgst die Werke eins zu eins in moderne Lettern. Bearbeitest Du den Text dabei auch - ich denke nur an zwischenzeitlich geänderte Masseinheiten, aber auch die Änderung der Rechtschreibung?

Nein, die Texte sind unverändert, also zitierfähig. Ich füge aber als solche äußerlich eindeutig erkennbare Anmerkungen mit entsprechenden Hinweisen ein. Das gilt auch für Maßeinheiten, deren Umrechnung in einer Anmerkung vorgenommen wird, im Original aber erhalten bleibt. (Besonders mühevoll war das bei der Herausgabe von Flammarions "Mehrheit bewohnter Welten" aus dem Jahr 1864!) Die Rechtschreibung bleibt also erhalten und wird nicht angepasst. Aus technischen Gründen wird die Silbentrennung aber nach neuen Regeln vorgenommen (da bin ich dem Textbearbeitungs-Programm ausgeliefert), wobei ich allerdings die unschönen Trennungen "a-ber", "o-der" usw. möglichst vermeide.

Kürzlich erschien mit "Der Luftpirat und sein lenkbares Luftschiff" ein Sammelband, in dem Du sechs Romane der Heftserie aufgenommen hast. Wie erfolgte die Auswahl der zu veröffentlichten Geschichten? Denkst Du eventuell auch über eine komplette Neuausgabe, wie sie ja z.B. der Schweizer SSI Verlag für die "Sun Koh"-Reihe von P. A. Müller plant nach?

Die Auswahl hat der Herausgeber, Heinz J. Galle vorgenommen, wobei er, bis auf den einleitenden ersten Band, im Weltraum spielende Romane ausgesucht hat. Soweit mir bekannt ist, gibt es nur eine komplette Sammlung der Serie in privater Hand. Herrn Galle und mir würde hier die Grundlage fehlen.

Albert Daiblers Romanzweiteiler "Der Weltensegler" und "Vom Mars zur Erde" liegen ebenfalls neu gesetzt vor. Im Gegensatz zu dem "Luftpirat" sagen diese beiden Romane dem heutigen SF Leser wohl kaum mehr etwas. Wie ist die Resonanz auf die Neuausgabe, sind genug Interessierte für die im BoD Verfahren hergestellten Bücher da?

Siehe meine Antwort weiter oben. Die Resonanz ist, was meine Verkaufszahlen angeht, bis jetzt sehr "übersichtlich", aber da die Buchbesprechungen meist einen längeren zeitlichen Vorlauf haben und die Abrechnungen von Books on Demand quartalsweise kommen, werde ich das wohl erst Mitte 2005 verlässlich einschätzen können. Für mich persönlich liegt der "Gewinn" darin, dass ich den Menschen Daiber in seinen Romanen und, über seine Nachkommen, auch in seinem späteren Wirken wieder-entdecken konnte.

Neben Werken, die sich mit der Möglichkeit außerirdischen Lebens beschäftigen hast Du auch einen Rückblick auf die ersten beiden in Deutschland erschienen SF Magazine - das "Utopia Magazin" und die deutsche Ausgabe von "Galaxy" aufgelegt, die in den 50ern von Pabel und Moewig veröffentlicht wurden. Neben einer Auflistung sämtlicher Geschichten wurden auch ein Pseudonymschlüssel und Coverabbildungen dem Band beigefügt. Wäre hier das Medium der CD-Rom oder des Internets nicht eine Publikationsalternative gewesen?

Auf CD-ROM-Sammlungen hat sich schon ein anderer Herausgeber spezialisiert ("Fandix" heißt das Projekt wohl). Unabhängig davon bin ich auch hier von meinen Neigungen und Gewohnheiten ausgegangen: Wenn ich im Sessel oder im Garten sitze und die eine oder andere alte Geschichte lesen möchte, aber nicht mehr weiß, wo sie steht, dann habe ich gern ein Buch in der Hand und möchte nicht erst den PC (oder auch nur ein Laptop) dazu brauchen. Im übrigen sind die beiden Magazine mit Inhaltsverzeichnissen, Autorenregistern und Titelbildern auf meiner Homepage einzusehen.

Inwieweit bekommst Du von deinen Lesern eine Reaktion auf die viele Arbeit, die Du in die Bücher steckst?

Hin und wieder eine E-Mail, über die ich mich freue, auch wenn ich dabei auf Tippfehler hingewiesen werde. Und auch, indem ich — wie hier — gebeten werde, einige Fragen zu beantworten …

Wie erfahren die Leser und Sammler da draußen, mal abgesehen von Artikeln oder Interviews wie in "Phantastisch!", dem "Fandom Observer" oder phantastik.de überhaupt, dass Deine Bücher existieren - ist es nicht schwierig in der Masse der Veröffentlichungen überhaupt wahrgenommen zu werden?

Ja, das ist ein Problem. Aktive "flächendeckende" Werbung kann ich mir nicht leisten, so dass ich auf Besprechungen und auf "Mund-zu-Mund-Propaganda" angewiesen bin.

Was ist für die nähere Zukunft bei Dir in Planung?

Zurzeit bin ich dabei, gemeinsam mit Herrn Gerd-Michael Rose, einem Carl-Grunert-Experten in Erfurt, eine Ausgabe der "Zukunftsnovellen" Carl Grunerts (1865–1918) vorzubereiten. Ich kann mir vorstellen, dass wir die 30 Novellen in vielleicht 4–5 Bänden herausbringen. Außerdem ist noch ein sekundärliterarisches Projekt im Werden, über das ich aber in diesem frühen Stadium noch nicht sprechen möchte.

Vielen Dank, dass Du Dir die Zeit für uns genommen hast. Wir wünschen Dir für die Zukunft alles Gute.


Die Homepage von Dieter von Reeken ist hier zu finden.





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