Im Gespräch mit: Patricia Briggs
Datum: Thursday, 20.December. @ 20:46:53 CET
Thema: Interview


Patricia Briggs, Jahrgang 1965, wuchs in Montana auf und interessiert sich seit ihrer Kindheit für Phantastisches. So studierte sie neben Geschichte auch Deutsch, denn ihre große Liebe gilt Burgen und Märchen. Neben erfolgreichen und preisgekrönten Fantasy-Romanen wie »Drachenzauber« widmet sie sich ihrer Mystery-Saga um Mercy Thompson. Nach mehreren Umzügen lebt die Autorin heute gemeinsam mit ihrem Mann, drei Kindern und zahlreichen Haustieren in Washington State. Anlässlich der deutschen Publikation des ersten »Mercy Thompson«-Romans »Ruf des Mondes« führte unser Mitarbeiter Carsten Kuhr ein Interview mit der Autorin.

Hallo Patricia. »Moon Called«, zu Deutsch »Ruf des Mondes«, ist das erste Buch von Dir, das seinen Weg über den großen Teich nach Deutschland gefunden hat. Könntest Du Dich Deinen deutschen Lesern, die Dich ja noch kaum kennen, einmal kurz selbst vorstellen?

Eigentlich ist »Moon Called« meine dritte Veröffentlichung bei Heyne. Im Juni bereits wurde, »Dragon Bones« und »Dragon Blood« in einem Band als »Drachenzauber« veröffentlicht.
Ich bin nun seit rund fünf Jahren Vollzeit-Autorin. Ich lebe zusammen mit sechs Pferden, einem Hund, einem Vogel, einer Eidechse, einer Schlange, drei Katzen und zwei meiner drei Kinder – der Älteste ist 20 Jahre alt und hat das Nest zwischenzeitlich verlassen - auf dem Land. Meine Hobbies, wenn man bei der Fülle von Aufgaben die meine Tiere mir bescheren überhaupt noch Zeit bleibt, habe ich mir zum Beruf gemacht – das Schreiben.

In den letzten Jahren ist eine regelrechte Welle von Urban Fantasy Romanen über uns hereingebrochen. Laurell K. Hamiltons Anita Blake hat die Tür aufgestoßen, viele Nachahmer tummeln sich seitdem auf dem ständig expandierenden Markt. Nun sind gewissen Ähnlichkeiten zwischen Mercy Thompson und Anita nicht zu übersehen – wie und wo hast Du versucht, Deinen eigenen Weg zu gehen?

Die Welten der Urban Fantasy sind fast austauschbar. Kaum ein Autor, der sich hier wirklich etwas Neues einfallen lässt, man geht nach Schema X vor. Man kann die Ausgangslage ganz einfach zusammenfassen – was würde passieren, wenn wir plötzlich entdecken würden, dass es Vampire oder Werwölfe wirklich gibt. Jeder Autor kann dazu dann seine eigenen Schwerpunkte setzen, andere Völker hinzufügen, doch der Leser, zumindest bei uns in den USA fordert Vampire und Werwölfe – punktum.
Laurell K. Hamilton war nicht die erste Autorin, die diese Grundthematik aufgegriffen und variiert hat. Aber sie ist eine der Erfolgreichsten und Originellsten im Feld, und durch und mit ihren erfolgreichen Romanen hat sie Türen aufgestoßen, ja ein ganz eigenes Subgenre kreiert. Dazu kommt, dass Verleger in den USA natürlich versuchen, sich an erfolgreiche Trends anzuhängen. Ich hatte Mercy Thompson in ihren Grundzügen bereits vor dem großen Erfolgen der »Anita Blake«-Romane entworfen, und meinem Verleger präsentiert. Dieser bestand dann darauf, dass Mercy ein etwas problematisches Liebesleben haben sollte, wie wir es von Anita ja auch kennen, und so habe ich die Rivalität der beiden Galane, die um Mercys Gunst buhlen noch eingefügt. Ansonsten fand ich in Mercy eine Person, die ich interessant fand, die ich mochte und über die ich schreiben wollte, sonst hätte ich die Romane nie verfasst.

Mercy ist ja eine starke, emanzipierte Frau. In einer typischen Männerdomäne, in der Reparatur deutscher Autos muss sie sich behaupten, und auch ihre Kindheit verlief an der Seite eines Werwolfclans etwas anders, als das übliche Heranwachsen eines Kindes. Gibt es reale Bezüge in der Gestalt der Automechanikerin?

Ich kenne ein paar Frauen, die ihre Berufung darin gefunden haben, ihre Arme in altes Öl und kaputtes Metall zu stecken – doch für Mercy gibt es kein reales Vorbild.
Ich kam auf die Idee, als ich, obwohl ich kein großes Talent in diesen Dingen habe, meinem Mann und unserem Sohn bei der Instandhaltung unseres alten VWs die Werkzeuge reichen durfte. Wir hatten zwei VW-Busse, drei Jettas, einen Eurovan und einen Passat – da lernt man die deutsche Wertarbeit schätzen. Als ich begann, den ersten Entwurf für »Moon Called« für meinen Verleger zu schreiben, arbeitete mein Mann in seiner Freizeit gerade an einigen schrottreifen Opel GTs, die Ende der 60er, Anfang der 70er von Buik aus Deutschland importiert worden waren. So kam ich dann auf eine Werkstatt, die sich auf deutsche Autos spezialisiert hat. Ihr Background, ihr Aufwachsen mit Werwölfen sollte ihr einen Startvorteil im Umgang mit den Mondgängern verschaffen.

Wieviel von Dir selbst steckt in Mercy?

Natürlich kommt in einer gewissen Weise jeder Charakterzug einer Figur aus dem Autor selbst. Ich beschreibe eine Figur aufgrund der Art und Weise wie ich selbst denke, wie ich handele, greife auf meine Gefühle, Wünsche und Erfahrungen zurück. Wenn ich ein neues Buch beginne versuche ich immer über Personen zu schreiben, die mich interessieren, die ich mag. Aber ich bin nicht Mercy.

Ein wenig hat es den Anschein, dass jeder Mann im Buch sich früher oder später zu Mercy hingezogen fühlt. Wird sie sich irgendwann einmal für einen der Bewerber entscheiden, oder schätzt sie ihre Unabhängigkeit und Freiheit zu sehr um sich zu binden?

Nun, nicht jeder Mann (grinst). Aber Mercy wird sich entscheiden – mehr wird aber erst im dritten Buch - »Iron Kissed« - verraten.

Wir hatten es schon angesprochen, Mercy ist eine starke Person. Die Thematik der Gleichberechtigung scheint da eine nicht unwesentliche Rolle zu spielen?

Ja, ich bin der festen Überzeugung, dass Jeder die gleichen Chancen im Leben haben sollte, unabhängig davon welche Hautfarbe er hat oder welches Geschlecht. das ist mir wichtig, und das soll man meinen Büchern auch anmerken.

Wir hatten es zu Beginn schon einmal – für die Verlage ist es momentan unabdingbar, dass sich ein Schuss Erotik zu den übernatürlichen Themata gesellt. Das ist in Deinen Werken nicht anders.

Meinst, Du, dass zu viel Sex in meinen Romanen vorkommt (grinst)? - Nun, ich versuche das eher langsam anzugehen. Es gibt eine ganze Reihe von Autoren und Autorinnen, die das viel besser können als ich. Wenn es zur Story passt, zur Situation und den Protagonisten gehört Sex zum Leben und damit auch in die Romane hinein. Nachdem Wölfe sehr gefühlsbetonte Wesen sind, passen Gefühle, passt Lust und der Trieb natürlich zur Handlung.

Nachdem Mercy sich in einen Kojoten verwandeln kann liegt die Frage nahe, ob sie auch in ihrer Tierpersönlichkeit amouröse Abenteuer erleben wird?

Ich will mich nicht festlegen, aber ich denke nicht, dass ich dieses Thema aufgreifen werde.

Bleiben wir bei dem Kojoten. Romane um Werwölfe gibt es wie Sand am Meer, die Verwandlung in Vögel oder Bären gibt es auch, aber ein Kojote ist neu. Wie kamst Du auf die Idee, wo hast Du über das Verhalten und die Besonderheiten der Kojoten recherchiert?

Ich fand Kojoten immer faszinierend. Sie sind die einzigen wirklich einheimischen Nord-Amerikanischen Jäger, die sich nach der Besiedelung durch die Weißen vermehrt haben und nicht eingegangen sind. Kojoten können sich fast an alles anpassen. Sie jagen alleine oder in der Gruppe, essen Mäuse genauso wie Hasen, und gehen im Rudel auch einmal auf einen Elch los. Sie sind Meister im Überleben – und ich habe jede Menge Respekt für Überlebenskünstler. Dazu kommt, dass Kojoten eine wichtige Rolle in den indianischen Überlieferungen einnehmen. Der Kojote ist schlau, manchmal aber auch verrückt, lässt einmal eine Spur aufgenommen nicht locker. ist ähnlich wie der nordische Gott Loki ein Betrüger, aber mehr ein sympathischer Gauner.

Mercy hat drei Tattoos – hast Du selbst auch welche? Ich habe gerüchteweise gehört, dass die Tattoos aufgrund des US-Titelbildes erst nachträglich eingefügt wurden?

Nein ich habe keine Tattoos. Mein Verleger brachte das Thema aufs Tablett. Er meinte, es wäre cool, wenn Mercy ein Tattoo auf dem Cover haben würde. Der Illustrator kam dann auf das Motiv des Pfotenabdrucks. Ich fand das als Idee toll. Dann kam jemand daher, der meinte, dass Mercy auch auf ihren Armen Tätowierungen haben sollte, und so fügte ich wieder welche ein. Die Cover der US-Ausgaben mit den tollen Illustrationen kann man auf meiner Webseite bewundern. Daniel Dos Santos, der Maler, gewann den Chesley Award, die bedeutendste Auszeichnung in diesem Gebiet.
Aber TriCity, die Heimat von Mercy ist sehr konservativ, und zu viele Tattoos würden da nicht passen. Es würde die Art und Weise, wie ihre Mitbürger mit ihr umgehen beeinflussen, da muss ich vorsichtig sein. Würde Mercy in einer anderen, einer größeren Stadt wohnen, wäre das gar kein Problem. Und so haben wir uns auf einen Kompromiss geeinigt – drei Tätowierungen, dabei bleibt es. Nur die Abbildungen auf den Umschlägen ändern ihr Motiv, weil sie zum Inhalt passen sollen.

Auf wie viele Bände ist die Serie ausgelegt?

Ich habe einen Vertrag für insgesamt sieben Titel unterschrieben, aber wenn die Leser mehr wollen, und ich neue Ideen genug habe ...
Ursprünglich sollten nur zwei Romane erscheinen. Nach dem Erfolg des ersten Bandes – die Erstauflage verkaufte sich in weniger als einem Monat – hat der Verlag mir einen Vertrag über zwei weitere Bände angeboten, und als der zweite Teil es dann auf die Bestsellerliste der »New York Times« und von »USA Today« schaffte, kam ein weiteres Angebot für drei zusätzliche Titel.

Vampire spielen im ersten Teil keine große Rolle. Wird sich das in den bei uns noch nicht erschienen Fortsetzungen ändern?

Ja, im nächsten Band werden die Nosferatu eine tragende Rolle übernehmen, aber im dritten Teil schon wird wieder kein Vampir vorkommen. In der Abwechslung liegt die Würze ...

Für Dich als Autorin – was macht die Gestaltwechsler so interessant?

Als Autorin liebe ich es mit meinen Charakteren zu spielen, immer neue, andere Seiten zu beleuchten. Und was kann es besseres geben, als einen Charakter, der sich äußerlich wie auch vom Verhalten her gänzlich verwandeln kann?

Was war zuerst da, die Person Mercy und ihr Umfeld, oder die Idee eines Gestaltwandlers?

Der Gestaltwandler. Ich überlege mir grundsätzlich zuerst die Charaktere, bevor ich mich mit der jeweiligen Handlung beschäftige. Ohne zu wissen, welche Personen vorkommen, wie diese denken, kann ich gar keinen überzeugenden Plot kreieren.

Wo schreibst Du?

Mittlerweile habe ich ein Büro in der Stadt. Nachdem ich meine Tochter zur Schule gebracht habe, gehe ich ins Büro und setzte mich an meinen Schreibtisch bis es Zeit wird, meine Tochter wieder aufzusammeln. Wenn ich mal spät dran bin mit dem Manuskript lege ich auch mal eine Nachtschicht ein, aber das liegt mir nicht so, wie das strukturierte Arbeiten am Tag.
Normalerweise weiß ich ganz genau, wie das Buch, das ich in Arbeit habe, aufhören soll. Nachdem ich mir das Finale überlegt habe, lasse ich mich von der Muse leiten und werde nur zu oft von den Entwicklungen regelrecht überrollt. So manches Mal kommt es mir vor, als ob meine Charaktere machen was sie wollen, dass sie die Zügel in die Hand nehmen und ich nur noch hinterher traben darf

Wie lange brauchst Du für einen Roman?

So etwa sechs Monate. Bei meinen ersten Romanen dauerte es länger, inzwischen habe ich Routine, weiß genau, wie ich vorgehe. Ausgerechnet mein umfangreichstes Buch – »Raven´s Strike« – hat dagegen nur rund 3 Monate in den Wehen gelegen.

Wer hat Dich als Autor beeinflusst?

Wer nicht? Jedes Buch, das ich lese beeinflusst mich, und ich lese eine Menge Bücher. Bevor ich geheiratet habe gab es Tage, an denen ich als schneller Leser drei Bücher an einem Tag verschlungen habe. Aber es gibt natürlich ein paar Autoren, die mich besonders beeindruckt haben. André Norton zum Beispiel hat den ersten SF-Roman und den ersten Fantasy-Roman die ich je gelesen habe, verfasst. Von ihren Kurzgeschichten lernte ich, dass mich die Verlierer, die Ausgegrenzten, die irgendwie vom Schicksal benachteiligten viel mehr interessieren, als die Reichen und Glücklichen. Sie mussten viel mehr kämpfen, letztlich mehr Charakter beweisen als die, denen alles in die Wiege gelegt wird. Die interessantesten Personen sind Menschen, die überleben, sich durchsetzen und dabei ihre Menschlichkeit nicht verlieren.
Als ich meinen ersten Roman schrieb hatte ich Probleme Dialoge und Unterhaltungen überzeugend hinzubekommen. So ging ich auf meinem Bücherregal auf die Suche nach Autoren, die dies gut beherrschten, und fand in Jayne Anne Krenz und Dick Francis zwei Vorbilder, von denen ich in dieser Hinsicht viel gelernt habe.

Was für Bücher liest Du selbst am liebsten?

Ich lese alles, was mir in die Hände kommt. Allerdings weitaus mehr Unterhaltungsromane als Sachbücher. Ich habe Kant, Dostojevski, Nietzsche studiert, aber hauptsächlich lese ich wirklich nur zu meiner Unterhaltung. Dabei bevorzuge ich kein bestimmtes Genre, ich mag interessante Personen und ein Happy-End. Lois McMaster Bujold, Barbara Hambly, Jim Butcher, Robin McKinley, Lynn Flemming, Laurell K. Hamilon, Anne McCaffrey und natürlich André Norton gehören zu meinen Lieblingsautoren.

Gibt es Pläne einen Deiner Romane zu verfilmen?

Ganz am Anfang gab es eine Anfrage von einem der großen Studios. Für ein paar Bücher wurden Optionen abgegeben, aber nur ein verschwindend geringer Anteil der Bücher die optioniert werden, werden dann letztendlich auch verfilmt.

Vielen Dank, dass Du Dir für unsere Leser Zeit genommen hast. Wir wünschen Dir für die Zukunft alles Gute!

Ich habe zu danken.


Carsten Kuhrs Rezension zu »Ruf des Mondes« von Patricia Briggs ist hier zu finden.

Die Homepage von Patricia Briggs ist hier zu finden.





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