Im Gespräch mit: Hannes Riffel
Datum: Wednesday, 25.April. @ 17:03:10 CEST
Thema: Interview


Wer in Berlin eine Buchhandlung sucht, die neben einem umfassenden Angebot an phantastischer Literatur auch fachkompetente Beratung und Lesungen anbietet, der kommt an der ehemaligen UFO-Buchhandlung, die seit kurzem unter dem Namen Otherland Buchhandlung firmiert, nicht herum. Betrieben wird der Laden von Hannes Riffel gemeinsam mit der Wissenschaftsjournalistin Birgit Herden. Riffel ist gleichzeitig Berater und Lektor der Hobbit-Presse im Verlag Klett-Cotta und fachkundiger Übersetzer einschlägiger Werke. Unser Mitarbeiter Carsten Kuhr sprach mit Hannes Riffel.

Hallo Hannes. Wie kommt man dazu, in einer Zeit, in der Amazon fast schon ein Monopol auf den Verkauf bedruckter und gebundener Seiten hat, seine wirtschaftliche Zukunft als Buchhändler zu suchen? Wie kamst Du überhaupt zur Buchhandlung, wo siehst Du Deine Nische, was willst Du anders machen als die anderen Buchhandlungen, insbesondere die Konkurrenz der großen Ketten?

Ursprünglich habe ich eine Lehre als Verlagsbuchhändler in Freiburg gemacht, aber schon während Studium und Zivildienst übersetzt. Mein Studium habe ich zum Teil durch einen Job im örtlichen Comic- und SF-Buchladen finanziert, und als die Inhaber dann die Buchsparte schließen oder verkaufen wollten, habe ich die mit zwei Kollegen übernommen. Daraus ist dann im Laufe der Jahre das Freiburger UFO entstanden.
Meines Erachtens gibt es zwei Möglichkeiten, heute als Buchhandlung zu bestehen: Entweder man ist groß genug, um eine Riesenauswahl zu führen, bei der jeder etwas findet; oder man spezialisiert sich und lässt die Konkurrenz auf diesem Spezialgebiet alt aussehen. Wir haben uns für die zweite Variante entschieden und sind bisher ganz gut damit gefahren. Es gibt in ganz Deutschland keine Buchhandlung mit einem vergleichbar großen Angebot an SF, Fantasy und Horror, mit Ausnahme vielleicht der Buchhandlung am Schwarzen Kloster in Freiburg, und das ist unser altes Schwestergeschäft aus UFO-Zeiten.
Außerdem verfügt das Otherland über eine umfassende Beratungskompetenz, hier bedienen Leute, die ihr Genre lieben und sich gerne mit der Kundschaft unterhalten. Natürlich ist der Internethandel eine bequeme Sache, aber die Datenbanken der großen Anbieter sind so fehlerhaft, dass man sich vielleicht doch überlegen sollte, dort einzukaufen, wo einem nicht dauernd ein X für ein U vorgemacht wird. Und wo man auch bekommt, was man will, und nicht das, was ein Computer für die mögliche Schnittmenge von Interessen hält.

Du betreibst Deine Buchhandlung nicht allein, unter anderem ist auch Boris Koch bei Dir beschäftigt. Auf diese Art finden Deine Kunden immer kompetente Ansprechpartner, die fundierte Empfehlungen aussprechen können. Welche Werke liegen Euch besonders am Herzen - wird das intern abgestimmt, oder empfiehlt jeder Mitarbeiter seine Favoriten?

Im Otherland sind insgesamt fünf Leute beschäftigt, die alle unterschiedliche Lesevorlieben haben. Wir versuchen, das einigermaßen aufeinander abzustimmen, und bei monatlichen feuchtfröhlichen Treffen reden wir viel über Bücher, sodass wir eine möglichst große Bandbreite an Genres und Einzelbänden abdecken können. So ist Wolfgang zum Beispiel unser Fachmann für Bücher härterer Gangart und hat „Das Unsterblichkeitsprogramm“ von Richard Morgan zu einem unserer Bestseller gemacht.
Boris kennt sich hervorragend mit Horror aus und sorgt dafür, dass wir auch die einschlägigen Kleinverlage führen. Und Simon weiß eine Menge über Fantasy und könnte stundenlang für Autoren wie George R. R. Martin und R. Scott Bakker schwärmen. Birgits Buchtipp ist im Augenblick „Das geheime Land“ von Lisa Tuttle, und ich empfehle von ganzem Herzen „Stadt der Heiligen & Verrückten“ von Jeff VanderMeer und „Die Fürsten des Nordens“ von Guy Gavriel Kay.

Das Otherland veranstaltet auch immer wieder Lesungen - sowohl mit hoffnungsvollen Nachwuchstalenten, aber auch mit alten Hasen, die vor vollem Haus aus ihren Werken vortragen. Lohnt sich das rein rechnerisch, oder ist das auch Dienst am Kunden und Freude an der Literatur - sprich Enthusiasmus?

Lesungen machen wir, weil es Spaß macht und weil es gute Werbung ist. Geld verdient man nur, wenn es gelingt, große Namen wie Tad Williams oder Terry Pratchett zu gewinnen. Kleinere Lesungen bei uns im Laden sind fast immer ohne Eintritt. Wie überhaupt das Otherland in erster Linie ein Spaßprojekt ist. Alle Beteiligten verdienen zwar etwas, aber noch lange nicht so viel, wie sie das in vergleichbarer Zeit in ihren anderen Jobs könnten. Aber ein solches Projekt hängt man nicht einfach an den Nagel, weil es nicht genug abwirft. Es muss auch Sachen geben, die nicht auf Gewinnmaximierung ausgerichtet sind ― schließlich geht es hier auch um Kultur. Natürlich möchten wir nicht drauflegen, und darüber, wie sich die Rendite steigern lässt, machen wir uns durchaus auch Gedanken, aber eben nicht nur.

Otherland hat sich bewusst dagegen entschieden, Bücher per Post zu verkaufen. Wenn man bei Euch ein Buch erwerben will, muss man in die Hauptstadt reisen – warum?

Wir haben schlicht keine Lust, gegen die unappetitlichen Geschäftspraktiken der Großen anzutreten oder in einem von vier Fällen unbezahlten Rechnungen hinterherzulaufen. Wer per Post bestellen möchte, kann das gerne woanders tun ― wir sind ein Ladengeschäft. Außerdem möchten wir nicht, dass die besten Stücke aus unserem Antiquariat indirekt den Weg zu Ebay finden oder über andere verantwortungslose Macher verschachert werden; darüber sollen sich bitteschön unsere Kunden vor Ort freuen können.

Zusammen mit anderen Gleichgesinnten steckst Du auch hinter dem Shayol Verlag. Seit Jahren erscheinen dort herausragende Werke deutscher und ausländischer Autoren, die sonst wohl kaum den Weg in deutsche Buchhandlungen gefunden hätten. Kannst Du bitte nochmals kurz die Verlagsphilosophie zusammenfassen? Warum habt ihr den Verlag gegründet, welche Bücher wollt ihr dort herausbringen?

Shayol ist ein nichtkommerzielles Projekt, das seine Existenz in erster Linie Hardy Kettlitz verdankt, der mit dem Magazin „Alien Contact“ und der Reihe „SF Personality“ den Grundstein gelegt hat. Ronni Hoppe, Bernhard Kempen und ich haben uns Ende der 90er Jahre mit Hardy zusammengetan, um bereits laufende Aktivitäten zu bündeln ― einfach damit nicht jeder alleine vor sich hin wurstelt.
Den Begriff „Verlagsphilosophie“ finde ich etwas hochgegriffen. Wir machen Bücher, die es unseres Erachtens verdient haben, gedruckt zu werden, und die unter kommerziellen Bedingungen keinen Verlag fänden. Natürlich machen das andere auch, aber das geschieht meistens auf Heftchenniveau und ohne vernünftiges Lektorat.
Projekte bei Shayol werden auf völlig unterschiedliche Art angestoßen. Der Storyband „Ein Herz für Lukretia“ von Jeff VanderMeer zum Beispiel entstand im Rahmen eines Praxisprojektes Literaturübersetzen, das ich an der Freien Universität Berlin betreut habe. Und unseren Best- und Dauerseller „Die Flucht der Ameisen“ hat unser Chef vom Dienst Ronni Hoppe, der sonst eigentlich für Produktion, Vertrieb und Buchhaltung zuständig ist, aus dem Stapel unangeforderter Manuskripte gefischt ― und damit seine Kompetenz auch auf dem Gebiet der Programmarbeit bewiesen.
Wie sich Shayol in den nächsten Jahren entwickelt, hängt schlicht von dem Engagement der Beteiligten ab, und da können die Schwerpunkte wechseln. Im Augenblick kommen die meisten Buchvorschläge von mir (was dann im Team besprochen wird), aber das kann nächstes Jahr schon wieder anders aussehen. Auf jeden Fall werden wir die Werkausgaben deutscher Autoren weiterbetreuen ― Erler, Jeschke, Simon und Steinmüller ― und hin und wieder auch Übersetzungen bringen. So ist zum Beispiel ein Sammelband mit den besten Erzählungen der Grand Dame der lateinamerikanischen Phantastik, Angélica Gorodischer, in Vorbereitung, die in den USA von Ursula K. Le Guin übersetzt wurde ― ein recht aufwändiges Projekt, wie man sich vorstellen kann.

Stichwort Werksausgaben – in welchem Rhythmus sollen die Bände denn erscheinen? Und wie kam es zu dem Kontakt mit Erler und Jeschke? Fanden sich hier jeweils zwei im Geiste gleichgesinnte zu einem tollen Projekt zusammen?

Das ist völlig unterschiedlich gelaufen. Helmuth Mommers hat wiederholt Erzählungen von Rainer Erler in seine „Visionen“-Anthologien aufgenommen, und Herr Erler war mit dem Lektorat so zufrieden (so etwas wie Lektorat kannte er bisher nicht), dass er uns angeboten hat, seine Romane neu aufzulegen. Bisher sind der SF-Thriller „Fleisch“ und der erste Band der Serie „Das blaue Palais“, „Das Genie“, erschienen. Alle Bände werden von mir in Rücksprache mit dem Autor behutsam überarbeitet, und das macht eine Menge Spaß, denn Erler ist ein souveräner und fesselnder Erzähler. Im Mai/Juni wird eine Doppelband mit den nächsten beiden „Palais“-Romanen erscheinen, im Herbst dann der Thriller „Die Delegation“ und im Frühjahr 2008 die abschließenden „Palais“-Bände 4 und 5. Weiter denken wir noch nicht.
Mit Wolfgang Jeschke habe ich Kontakt aufgenommen, weil wir uns überlegt haben, zu seinem 70. Geburtstags einen Jubelband mit Essays und anderen Texten über ihn zu bringen. Dabei hat sich schnell herausgestellt, dass er derartigem Trubel um seine Person nur wenig abgewinnen kann, also habe ich ihm den Vorschlag einer Gesamtausgabe gemacht. Bereits erschienen ― als Klappenbroschur und als limitierte & signierte Leinenausgabe ― ist der Band „Der Zeiter“ mit den frühen Erzählungen, darunter eine die bisher noch nie in Buchform gesammelt wurde. Und im Herbst wird ein Band mit den späten Erzählungen erscheinen, mit zur Hälfte verstreut gedruckten Geschichten, die viele Fans von Jeschke bestimmt noch nicht kennen. So geht es dann im Jahresrhythmus weiter ― zwei weitere Erzählungsbände werden noch folgen, und geplant sind ein Essay- und Hörspielband und eine Neuausgabe des Romans „Midas“. Die anderen beiden Romane sind ja im Moment bei Heyne bzw. Knaur lieferbar. Vielleicht können wir diese uns in zehn Jahren »einverleiben«, aber das ist Zukunftsmusik.
Wir sehen die Erler- bzw. die Jeschke-Ausgabe als schönes Pendant zu den Simon- und Steinmüller-Ausgaben ― damit sind die wichtigsten ost- und westdeutschen SF-Autoren wieder repräsentativ greifbar. Außerdem enthalten alle unsere Werkausgabe zusätzliches Material, neue Texte, Vorworte und/oder Kommentare der Autoren etc ― es lohnt sich also.

Angekündigt, aber meines Wissens noch nicht erschienenen, ist ein bislang unbekannter Roman von Robert A. Heinlein. Erst 2002 wurde das Werk in der Garage eines Sammlers entdeckt – wie kommt es, dass ein bislang unveröffentlichter Heinlein bei Shayol debütiert, und nicht bei einem der großen Taschenbuch-Verlage? Einmal provozierend gefragt, passt das Buch überhaupt ins Programm?

Das ist eine durchaus berechtigte Frage. Bei „Die Nachgeborenen“ (im Original „For Us, the Living“) handelt es sich um einen utopischen Roman, Heinleins Debüt, eine absolute Überraschung, denn das Buch unterscheidet sich grundlegend von allen anderen Werken dieses Autors. Heinlein war ja bekanntermaßen ein sehr politischer Autor, und hier findet der interessierte Leser das Fundament seines Denkens und Fühlens. Die großen Verlagshäuser haben vermutlich deshalb abgewunken, weil wir hier kein Weltraumabenteuer serviert bekommen, sondern einen Spaziergang durch eine Zukunftswelt mit sehr vielen wirtschaftspolitischen und kulturellen Einzelheiten, was natürlich ein wenig auf Kosten der Spannung geht.
Trotzdem halte ich den Roman für gelungen, die Figuren sind ― wie man das bei Heinlein gewohnt ist ― trefflich geschildert, und die Zukunftswelt des späten 21. Jahrhunderts hat einiges zu bieten. Mitunter passt der Roman bestens in unsere Reihe „Utopisch-phantastische Bibliothek“, denn er stammt aus den späten 1930er Jahren, wie die drei in dieser Reihe bisher erschienen Bände auch. Heinlein-Fans sollten allerdings rasch zugreifen, denn ein auf 333 Exemplaren limitierten Leinenband wird es möglicherweise nicht lange geben, und ein wertvolles Sammlerstück ist „Die Nachgeborenen“ allemal.

Ein neues Print-Magazin ist auch kürzlich bei euch gestartet. Gibt es neben „Phantastisch!“ und dem mehr in Richtung Games tendierenden „Nautilus“ genügend Leser für ein Magazin, insbesondere wenn man in Betracht zieht, dass sich viele Interessierte mittlerweile im Netz informieren?

Die erste Ausgabe von „Pandora“ ist Mitte Ende März ausgeliefert worden und soll die Lücke füllen, die „Alien Contact“ seit seiner faktischen Einstellung Ende 2006 hinterlassen hat. Hardy Kettlitz hat sich auf eigenen Wunsch aus der redaktionellen Arbeit fast völlig zurückgezogen und kümmert sich jetzt um Gestaltung und Satz. Das bot mir und meinem Mitstreiter Jakob Schmidt die Möglichkeit, in einem eingeführten Rahmen eigene Vorstellungen zu verwirklichen. Im Unterschied zu den genannten Magazinen liegt der Schwerpunkt von „Pandora“ auf phantastischen Erzählungen und Novellen vor allem von angloamerikanischen Autoren. Neben Stars wie Tad Williams, J. G. Ballard oder Boris Strugatzki finden sich darin vor allem auch herausragende Texte junger Autoren, die international bereits für Furore gesorgt haben ― ich möchte hier nur Daryl Gregory, Richard Bowes oder Susan Palwick nennen.
„Pandora“ steht in keiner direkten Konkurrenz mit irgendeiner anderen deutschsprachigen Publikation, da Übersetzungen von Erzählungen ― rühmliche Ausnahmen sind hier die Horror-Anthologien bei Festa oder Eloy ― einfach niemand mehr bringt. Außerdem bilden wir uns Einiges auf die Qualität unserer Übersetzungen und unseres Lektorats ein, was uns ― die Bemerkung sei erlaubt ― nicht nur von den Kollegen in den Kleinverlagen unterscheidet.
Deutsche Storys wird es nur in Ausnahmefällen geben. Dieses Feld wird von den „Visionen“, von „Nova“ und vielen anderen mehr oder minder intensiv und seriös beackert. Wir möchten da eher an das anknüpfen, was Wolfgang Jeschke über lange Jahre mit seinen Anthologien mit internationaler SF geboten hat.
Der Sekundärteil von „Pandora“ ist ― von den Rezensionen einmal abgesehen ― weniger zeitgebunden, da darin nicht über aktuelle Ereignisse berichtet wird, sondern eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit der phantastischen Literatur stattfindet. Vergleichbares hat es früher im „Golem“ oder in der „SF Media“ gegeben, derzeit steht der ― meines Erachtens zu akademische ― „Quarber Merkur“ in dieser Hinsicht allein da.

Du bist beratend für Klett-Cotta tätig. Nun hat der Stuttgarter Verlag den Anspruch, gehobene Fantasy-Kost zu publizieren und in gediegenen, aber eben auch etwas teureren Ausgaben zu präsentieren. Nach welchen Kriterien wählt ihr die Werke aus, wer schlägt vor, wer entscheidet, oder trefft ihr die Entscheidung für oder wider einen Titel immer gemeinsam?

Die Hobbit Presse war schon immer eine Reihe, in der die verschiedensten Strömungen der Phantastik berücksichtigt wurden. Meines Erachtens muss ein Verlag, der vor allem gebundene und damit etwas teurere Bücher produziert, darauf achten, dass sich sein Programm von dem der Taschenbuchverlage abhebt. Warum sonst sollen die Leser, wenn sie denn keine Sammler sind, tiefer in die Tasche greifen?
Die Auswahl der Phantastik bei Klett-Cotta wird seit 2004 von Stephan Askani in Stuttgart in enger Zusammenarbeit mit mir getroffen. Ich betreibe Marktforschung, mache Vorschläge, und dann kommen wir gemeinsam zu einem Ergebnis. Dabei spielt vor allem eine Rolle, dass uns die ausgesuchten Bücher begeistern. Sie sollen mehr sein als nur wiedergekäute Klischees oder abgespulte Szenarien nach Schema F. Dabei unterlaufen uns natürlich auch hin und wieder etwas experimentellere oder anspruchsvollere Bücher, aber das ist nicht unbedingt gesucht. Wir bringen gerne auch einen klassischen High-Fantasy-Roman, wenn der denn so gut ist wie die Bücher von Gene Wolfe. Oder der neue Shooting Star aus den USA, Patrick Rothfuss mit seinem Erstling „Der Name des Windes“, der im Herbst 2008 erscheinen wird.

Du vermeidest bewusst, das unterstelle ich jetzt einmal, Werke, die sich an erfolgreichen Grundthemata orientieren. Eddings, Hobb und Co haben in der Hobbit Presse keinen Platz, obwohl sie für Umsatz sorgen würden. Lässt sich literarischer Anspruch so einfach mit marktwirtschaftlichen Grundsätzen vereinbaren?

Das ist eine Gratwanderung und stimmt in dieser Konsequenz nicht ganz ― Robin Hobb hätte ich zum Beispiel gerne gebracht, kam jedoch bei der Agentur nicht zum Zuge. Und Eddings hat seine beste Zeit längst hinter sich, die neuen Sachen sind schlicht furchtbar. Nehmen wir doch einmal R. Scott Bakker, einen Autor vom Kaliber eines George R. R. Martin. Die Trilogie „Der Krieg der Propheten“ gehört meines Erachtens zum Besten, was die High Fantasy der letzten Jahre zu bieten hat. Das wird kein kurzfristiger Riesenerfolg, aber mit der Zeit werden sich solche Bücher durchsetzen und für stabile, dauerhafte Umsätze sorgen.

Der Hype durch die Tolkien-Filme hat sich ein wenig abgeschwächt, und Tad Williams lässt sich mit seinem zweiten „Shadowmarch“-Roman Zeit - fehlt da nicht ein wenig das große, weil bekannte Zugpferd? Anders gefragt, kann man mit unbekannten, aber qualitativ herausragenden Autoren wie Bakker oder Finlay genügend Käufer locken?

Um diese Frage zu beantworten, muss ich etwas weiter ausholen. In den letzten Jahren hat sich das Buchgeschäft ganz sonderbar entwickelt. Bücher werden entweder sehr erfolgreich oder gehen sang- und klanglos unter. Die solide Mitte ― im Englischen gibt es dafür den schönen Begriff „midlist“ ― ist fast komplett weggebrochen. Das ist eine sehr gefährliche Entwicklung, da sich Verlage nur noch selten auf Longseller verlassen können und für erfolgversprechende Neueinkäufe Unsummen hinblättern sollen.
Bei Klett-Cotta läuft das zum Glück noch etwas anders. In der Phantastik gibt es eine stabile Backlist ― Bücher, die sich seit Jahren oder Jahrzehnten so gut verkaufen, dass es rentabel ist, sie dauerhaft lieferbar zu halten ― mit Titeln wie „Die Brautprinzessin“ von William Goldman, „Der König auf Camelo“t von T. H. White oder den „Borribles“, die im Herbst neu aufgelegt werden. Aber darauf kann man sich natürlich nicht ausruhen.
Für dieses Jahr lässt sich sagen, dass die vorausschauende Programmarbeit der letzten Jahre ihren Niederschlag findet, wobei natürlich auch etwas Glück eine Rolle gespielt hat. Im April erschien ein „neuer“ Tolkien mit Farbillustrationen von Alan Lee ― eine echte Entdeckung auch für diejenigen, die glaubten, schon alles zu kennen. Zur Buchmesse wird auch die deutsche Ausgabe des zweiten „Shadowmarch“ von Tad Williams in den Läden sein. Und der meisterhafte Horror-Thriller „Das Haus ― House of Leaves“ von Mark Z. Danielweski geht mit so großen Vorschusslorbeeren ins Rennen, dass sich der Verlag davon einen ähnlichen Erfolg erhofft wie vor Jahren mit „Otherland“.

Klett-Cotta hat eine ganz eigene Philosophie auch was die Umschlaggestaltung anbelangt. Hast Du hier Einflussmöglichkeiten, trifft die Gestaltung Deinen persönlichen Geschmack?

Wie beim Programm auch kann ich Vorschläge machen und, gründend auf meiner immerhin fünfzehnjährigen Erfahrung als Buchhändler, über Entwürfe mitdiskutieren. Die eigentliche Entscheidung wird allerdings im Verlag gefällt, und dass muss sie auch. Wie jeder habe ich Vorlieben ― so gefallen mir die Umschlägen von „Stadt der Heiligen & Verrückten“ oder „Die Seelen in der großen Maschine“ zum Beispiel ganz besonders, aber das ist sehr subjektiv.

Mit Bakkers tollem „Krieg des Propheten“ ging Klett-Cotta meines Wissens das erste Mal ein Kooperation mit einem anderen, großen Verlag ein. Ursprünglich war die Publikation als Taschenbuch-Erstveröffentlichung bei Heyne in Planung, dann erhielt die Trilogie doch noch die Weihen des Hardcovers, obwohl ja auch Heyne in seinem Buchprogramm die Möglichkeit gehabt hätte, das Buch in gebundener Form herauszubringen. Hast Du bei Sasche Mamczak bezüglich des Titels angefragt, oder wie kam es zu der Zusammenarbeit?

Bakker wollte ich bereits einkaufen, als ich 2004 bei Klett-Cotta angefangen habe, aber Sascha Mamczak war mir zuvorgekommen. Erfreulicherweise stimmten wir in unserer Einschätzung überein, dass dieser Autor unbedingt eine Hardcover-Ausgabe verdient hätte, und auch bei den Modalitäten der Zusammenarbeit war Heyne sehr entgegenkommend. Bei passenden Titeln könnte es also durchaus sein, dass wir weitere Projekte gemeinsam verwirklichen. Auch einen Zusammenarbeit mit anderen Verlagen möchte ich nicht ausschließen, wenn sich die Interessen bündeln lassen.

Was haltet Ihr für die nächsten Programme in Petto - auf was darf sich der Leser freuen?

Wie gesagt, „Das Haus“ von Mark Z. Danielewski sollte sich kein Bücherfreund entgehen lassen ― das ist eines der spannendsten Romane, die ich je gelesen habe, und auch die deutsche Übersetzung ― von Christa Schuenke ― ist ein Genuss. Aktuell ist der zweite Roman erschienen, den Boris Strugatzki nach dem Tod seines Bruders allein geschrieben hat, und wer sich nur einigermaßen für das interessiert, was in Russland derzeit los ist, wird hier sein blaues Wunder erleben.
Im Frühjahr 2008 wird „Shriek“ von Jeff VanderMeer erscheinen, ein Roman, der in derselben Welt spielt wie „Stadt der Heiligen & Verrückten“.

Vielen Dank, dass Du uns Rede und Antwort gestanden hast. Wir wünschen Dir alles Gute.


Link-Tipps:

Otherland
Shayol Verlag
Hobbit Presse
Hannes Riffels Blog





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