Im Gespräch mit: Karl-Heinz Witzko
Datum: Friday, 13.April. @ 18:35:48 CEST
Thema: Interview


Karl-Heinz Witzko, geboren 1953, ist diplomierter Statistiker und schreibt Romane voller Wortwitz und schillernder Phantasie. Seine skurrilen Einfälle holt er sich während ausgedehnter Spaziergänge im Teufelsmoor bei Bremen. Vor einigen Jahren machte er dort seine erste Bekanntschaft mit Kobolden, als sein Jagdhund einen solchen von einem Ausflug wohlbehalten nach Hause brachte. Anlässlich der Veröffentlichung seines Romans um das Kleine Volk bei Piper sprach unser Mitarbeiter Carsten Kuhr mit dem Autor.

Die Vita, die ihr Hausverlag Piper zur Verfügung stellt, ist recht kurz gehalten. Wer verbirgt sich hinter dem Namen Karl-Heinz Witzko - was macht der Mensch Witzko - mal abgesehen von Rollenspielen und Bücher verschlingen - gerne?

Diese Frage stellt mir auch der Verlag bisweilen, wenn gerade ein Klappen- oder Werbetext benötigt wird. Weil das gar keine so einfache Frage ist, habe ich einmal vorgeschlagen, man könnte vielleicht schreiben: Herr Witzko sitzt am liebsten allabendlich im Feinrippunterhemd mit einer Flasche Bier vor der Glotze und ... Das wurde aber nicht richtig ernst genommen, so dass ich mir dann zwangsweise diese scheußlichen und koboldfressenden Rotweiler Caligula und Lacroix zulegen musste, damit alles etwas spannender klingt. Doch abgesehen von den Details, die nun allerdings samt und sonders erlogen sind, ist die Geschichte nicht so ganz falsch.
Ein wenig zu meiner Biografie: Ich bin in Stuttgart aufgewachsen und habe in Tübingen und Dortmund studiert. Nach meinem Abschluss in einem völlig mathematischen Fach, das überhaupt nichts mit Schreiben zu tun hatte, hat es mich aus beruflichen Gründen nach Norddeutschland verschlagen. Rollenspiele lernte ich kurz nach der Markteinführung von „Das Schwarze Auge“ kennen. Anfang der 90er kam ich in Kontakt mit Uli Kiesow und war dann über zehn Jahre lang Mitglied in der DSA-Redaktion. Anschließend begann ich mit Bernhard Hennen, Thomas Finn und Hadmar von Wieser unserem gemeinsamen „Gezeitenwelt“-Zyklus. Hernach kamen „Die Kobolde“.
Was mag Herr Witzko? Er hat ein Faible für amerikanische Rockmusik der Sechziger, englische der Siebziger, französische der Achtziger und spanische der Neunziger, was der geneigte Leser bisweilen an offenen oder versteckten Zitaten in seinen Texten bemerken kann. Ebenfalls hat er eine Schwäche für symbolistische Malerei des 19. Jahrhunderts.

Du kamst über das Rollenspiel zum Schreiben. Angefangen hast Du damit, dass Du Dir Kampagnen ausgedacht hast. Zu Beginn des „Schwarzen Auges“ galtst Du als einer der kreativsten Köpfe hinter dem Game. Wie hast Du diese Zeit erlebt, gab es eine Aufbruchsstimmung unter den Machern, die mit Ulrich Kiesow gewerkelt haben, hatte man als Ideengeber damals mehr Freiheiten die leeren Flächen zu füllen?

Als ich 91/92 zur Redaktion stieß, arbeiteten die meisten damaligen Macher von DSA ja schon einige Zeit beim „Schwarzen Auge“ mit, weswegen ich nicht unbedingt von Aufbruchstimmung sprechen will. Allerdings waren das seinerzeit noch überschaubar wenige. Zudem gab es eine regelmäßige Redaktionsspielrunde, an der etliche Redakteure teilnahmen, wodurch schon ein gewisses Gemeinschaftsgefühl vermittelt wurde.
Hatte man mehr Freiheiten? Weiß ich nicht. So wie ich das mitbekomme, laufen heute viele Planungen über Mailinglisten, in denen viel mehr Leute als früher diskutieren. Bestimmt ist das eine langwierigere Angelegenheit, als mit ein oder zwei Kollegen zu telefonieren. Doch in ein Thema einarbeiten musste man sich damals auch. Das bleibt ja gar nicht aus, wenn die eigene Arbeit Berührungspunkte zu der anderer Leute hat.

Du hast ja früh in Deiner Karriere zum Teil recht deutliche Kritik an Aventurien geübt und dann in Maraskan und Nostria Deine Vorstellungen verwirklicht. Wie kam es dazu, was wolltest Du damals anders, ja besser machen?

Das wird nun für Nichtrollenspieler wahrscheinlich etwas langweilig ... Letztlich ging es mir damals nicht anders als vielen Spielern. Im Grunde mag man Aventurien, aber es gibt eben immer etwas, was man selbst anders machen würde, vielleicht, weil man das Bisherige zu einfach und geradlinig findet. Kann man’s ändern, so ist das gut, kann man’s nicht, so ist das auch keine Katastrophe. Zum Beispiel schlug ich Uli ganz zu Anfang vor, dieses große Mittelreich zu zerlegen, wie es nun auch ansatzweise geschehen ist. Er meinte damals, er wolle ganz bewusst ein großes, träges Reich mit einem weit entfernten Kaiser. Aus heutiger Sicht erscheint mir diese Vorstellung schon damals nicht haltbar gewesen zu sein. Es gab bereits schnelle Reisemöglichkeiten, die den Spielerfiguren zugänglich waren, und die Geweihten hatten sozusagen ein Wunder vom Typ „Geweihtenfunk“. Beides widersprach diesem Ansatz der langen, weiten Wege. Vollends zu Grabe getragen wurde er im Laufe der Borbaradkampagne, als allgemein anerkannte und durchsetzbare Gesetze in den Quelltexten festgeschrieben wurden. Ende der Neunziger war es wegen des so genannten Reichsfriedens nicht mehr möglich, in der größten aventurischen Region ein auf „Romeo und Julia“ basierendes Abenteuer auszuspielen, ohne gegen offizielle Setzungen zu verstoßen. Von anderen Shakespeare-Stücken ganz zu schweigen.
Meine Vorstellungen ... Das klingt womöglich nach einem absichtlichen Gegenentwurf zum offiziellen Aventurien. Aber so war das nicht. Bei Maraskan ging es lange Zeit nur darum, Dinge aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten und anders zu interpretieren, was voraussetzt, dass man sich zunächst mit dem Bestehenden beschäftigt. Neue Elemente kamen dann oft als Konsequenzen dieses anderen Blickwinkels hinzu, bis sich schließlich nach etwas Aufräumen und Systematisieren klärte, wie der Motor aussah, der Maraskan antreiben sollte, nämlich das Nebeneinander einer ziemlich gewalttätigen Gesellschaft, für deren Herrschende der blutige Umsturz eine gängige Form des Machtwechsels ist, die aber dennoch bisweilen ein Gewissen entwickeln, und einer unerhört einflussreichen, äußerst toleranten, doch nicht an Macht interessierten Staatsreligion, die schon deswegen keine Inquisition und Tempelwachen benötigt, weil die Gläubigen bei Bedarf aus eigenen Stücken Hand anlegen.

In der Folgezeit hast Du an diversen Solo-Abenteuern und DSA-Boxen mitgearbeitet, bevor Du Dich dann den Romanen, die in Zusammenarbeit mit Heyne publiziert wurden, zuwandtest. Bei den Fans warst Du für Deinen Humor bekannt. So verwundert es nicht, dass auch Deine insgesamt sechs DSA-Romane bei den Fans für ihre kurzweilige, amüsante Erzählweise bekannt waren. Gab es hier vom Verlag aus den Inhalt oder den Umfang betreffend Vorgaben, oder konntest Du hier Deiner Muse freien Lauf lassen?

Es gab nur wenige Vorgaben. Die Wichtigste betraf den Umfang: etwa 240 Seiten. Man musste allerdings nicht kürzen, wenn der Text länger wurde, was ein Vorteil ist. Eine Zeitlang blühte sogar das schöne Gerücht, ab einer gewissen Seitenzahl gäbe es mehr Geld, was auch ein zusätzlicher Ansporn war. Das war aber nicht richtig. Heutzutage weiß ich, dass das, was da blühte, allenfalls eine Blume des Bösen war, da die Verlage es gar nicht schätzen, wenn Autoren ihre Kalkulation durcheinander bringen. Allerdings wurde das Überziehen dieses Limits von den Lesern rasch als Normalität gewertet.
Natürlich wurde auch eine grobe Inhaltsangabe des Romans, schriftlicher oder zumindest mündlicher Art verlangt, damit nicht zu grob gegen aventurische Gegebenheiten verstoßen wurde. Ganz sicher war dieses Verfahren nicht, wie mancher wissen wird. Ich erinnere mich auch an ein Rundschreiben Ulis, in dem um die Einhaltung aventurischer Standards gebeten wurde, speziell der Geschlechtergleichheit, über die ja auch heute noch in den einschlägigen Foren gern gestritten wird. Als Fan von Wes Cravens „Scream“-Trilogie hatte ich damit nie Probleme. Ich fand das immer toll, wenn Neve Campbell vor dem verhüllen Messerstecher flüchtete und – Genre-untypisch – jede Gelegenheit wahrnahm, ihn mit Fäusten oder harten Gegenständen zu traktierten, so dass man sich zunehmend um ihn sorgte und sich fragte: Wie heißt dieser Film eigentlich? Scream – Warte, bis erst das Opfer kommt!

Und warum überhaupt der Wechsel vom Gestalter von Kampagnen und Szenarien hin zu einer reinen Romanautorentätigkeit?

Die Bezeichnung ist ein wenig irreführend. Da wir alle in die Planung der Borbaradkampagne involviert waren, war jeder Redakteur auch ein Kampagnenplaner. Eine meiner wesentlichen Anregungen war etwa das Überlaufen von Helme Haffax zur dunklen Seite. Ich hatte zu dem Zeitpunkt ausschließlich Einpersonenabenteuer geschrieben oder an Spielhilfen mitgewirkt. Allerdings bildeten zwei dieser Soli eine eigenständige Kampagne. Der Sprung von einer interaktiven Geschichte zu einem Roman ist nicht mehr ganz so groß, zumal ich beim dritten oder vierten Anlauf auch mit der Form des Soloabenteuers zu spielen begann. Statt der üblichen Anweisungen „Wenn du nach rechts willst, so lies Abschnitt 43, bei links Abschnitt 11“, tauchten dann plötzlich als eine Art Überschriften isolierte Zitate von eigentlich nicht anwesenden Personen auf. Das waren Nachwehen einer akuten Jean-Luc-Godard-Phase, die dann später in eine schlimme Pedro-Almodóvaritis überging.
Romane waren attraktiver, weil ihre Welt nicht nur aus Abschnitten mit einer Länge von achtzig Zeichen bestand. Zudem wurde ich auch nicht mehr ständig von Spielern gefragt, wann ich denn endlich ein richtiges Abenteuer schreiben wolle. Ich dachte ja immer, so etwas die ganze Zeit über getan zu haben.

Was meinst Du als Insider – warum laufen Romanadaptionen gängiger Games so gut – was zieht die Zocker an, auch einmal zu einem Roman zu greifen?

Das mag viele Gründe haben. Zunächst einmal spielen die Geschichten in einer Welt, die der Leser so gut kennt, dass er sie als seine eigene ansieht bevor er nur eine Zeile gelesen hat. Für andere sind die Romane ein Ersatz für eine Spielrunde, die sie nicht mehr haben. Wieder andere Leser glauben, aus der Lektüre Nutzen für ihr eigenes Spiel ziehen zu können.

Mit dem gefeierten „Westwärts, Geschuppte“ hast Du dann Anfang 2003 Deinen Abschied von DSA genommen - warum, und hast Deine Entscheidung bereut?

Zum einen verspürte ich eine anhaltende Unzufriedenheit mit der Arbeit in der Redaktion und etlichen Entscheidungen, die damals getroffen wurden. Das gemeinsame Dach wurde sozusagen immer löchriger. Dann wurde die Romanreihe nicht in der bisherigen Form fortgesetzt. Mit dem Ausscheiden von Heyne als Partner war klar, dass die Romane zu einem Nischenprodukt würden und die Zeiten, als von meinen Büchern noch fünfzehn-, sechszehntausend Exemplare verkauft wurden, endgültig Geschichte waren. Es waren allerdings im Laufe der Zeit ohnehin sehr viel weniger geworden, schon weil die Auswahl für neue Leser immer größer wurde. Andererseits hatten wir inzwischen mit großem Elan unser „Gezeitenwelt“-Projekt begonnen, das erheblich zukunftsträchtiger schien. Es gab dann noch ein paar andere Dinge, auf die ich aber nicht weiter eingehen will.
Man kann das auch kürzer formulieren: Es war einfach Zeit für etwas Neues.
Diesen Schritt habe nicht bereut. Ich schreibe immer noch Fantasy. Ich erfinde jedes Jahr mindestens eine Kultur mit Bräuchen und Hintergründen, und wie ich beim Verfassen von „Jenseits des Lichts“ lernte, meinem ersten und einzigen Gruppenabenteuer, machte mir das Schreiben eines solchen Moduls gar nicht so viel Spaß, wie ich immer gedacht hatte. Zehn Jahre früher wäre das sicher anders gewesen.
Ich arbeite heute unter wesentlich besseren Bedingungen. Zum Beispiel habe ich für DSA sechs Romane geschrieben, von denen keiner mehr im Handel ist. Da mit einer Neuauflage nicht zu rechnen ist, ist das ein bisschen so, als hätte ich sie überhaupt nie geschrieben. Heutzutage wären alle Rechte an diesen Büchern längst wieder bei mir gelandet. Ich könnte einen neuen Verlag suchen, sie als PDF anbieten oder umsonst zum Download. Was immer ich wollte.
Leid tut’s mir allenfalls um die unerzählten Geschichten. Als Autor hat man seine Figuren ja monatelang im Kopf und wenn man dann an einen Punkt gelangt, wo man weiß, dass man nichts mehr über sie erzählen und erfahren wird, so ist das etwa so, als hätte man plötzlich jeden Kontakt zu guten Bekannten abgebrochen. Das ist ein bisschen traurig.

Anschließend warst Du bei einem der ambitioniertesten deutschsprachigen Romanprojekte - der „Gezeitenwelt“ engagiert. Vier Autoren, neben Dir Bernhard Hennen, Hadmar von Wieser und Thomas Finn planten in insgesamt zwölf Romanen aus unterschiedlicher Sicht die Geschichte einer Fantasywelt nach einer kosmischen Katastrophe zu erzählen. Fünf Einzelromane sowie ein gemeinsamer Erzählband sind erschienen, nun aber stockt die Fortsetzung bereits seit einiger Zeit. Warum?

Wir ernteten zwar reichlich Lob für die Serie, aber die Verkaufszahlen waren viel zu niedrig. Piper erhielt von uns zwar noch die Exposees für die zweite Staffel, wollte dann aber nicht mehr. Wir haben darauf beschlossen, mit einem Relaunch der Serie zu warten, bis wir etwas bekannter sind und auf eine größere Leserschaft hoffen können.

Kommen wir nochmals zurück zu Deinem Roman „Das Traumbeben“. Du portraitierst hier zum Beispiel mit Sadi eine von der Stimmung her recht düstere Stadt mit weit über 1000 Heiligen, die trotz ihrer Vielfalt den Menschen keinen Trost zu geben vermögen. Ikarilla, das Land der stolzen Reiter weist gar mindestens dreitausend Heilige auf. Ich hatte bei der Lektüre den Eindruck, dass Du die gerade bei Fantasy-Romanen bislang doch recht vernachlässigte Beziehung zwischen Mensch und Religion sehr intensiv und auch durchaus kritisch beleuchtest - stimmt das?

Ich schreibe ja über Menschen oder so etwas ähnliches. Religion und Götterwelt spielen in vielen Fantasywelten eine bedeutsame Rolle im Leben der Protagonisten, so dass ich wissen will: Wie wirkt sich das in ihrem Alltag aus? Halten sie sich streng an ihre Glaubensvorschriften oder interpretieren sie sie vielleicht stillschweigend um, damit sie ihnen nicht mehr so „weltfremd“ erscheinen, wie das, was der Herr Priester verkündet, der ja nun auch nicht immer recht haben kann. Das finde ich interessanter als dass Zeus auf einem Berg sitzt und Blitze schleudert oder in Schwanengestalt Jungfrauen hinterher watschelt. Bei der „Gezeitenwelt“ kommt hinzu, dass wir eigentlichen einen kontinentweiten Eingottglauben haben. Der kann aber unter diesen Verhältnissen nicht homogen sein. Da sprechen die großen Entfernungen, schlechte Kommunikationswege usw. dagegen. Er muss Spielarten aufweisen, die nicht notwendigerweise gleich in offene Ketzerei ausarten. Daher haben wir in Ikarilla eine formalgläubige Oberschicht, die Religion als Beschäftigung des Volkes betrachtet, Kathedralen, die nur an den höchsten Feiertagen Interesse wecken und die verkappte Vielgötterei der Heiligen mit ihren seltsamen Lebens- und Leidensgeschichten.

Nach Bernhard, der mit seinen „Elfen“-Romanen bei Heyne gut im Geschäfts ist und Thomas, der neben seinem „Chronos“ mit seiner Jugendbuch-Trilogie punkten konnte, legst nun auch Du einen unabhängigen Roman vor. „Die Kobolde“ heißt das großformatige Paperback, das im März bei Piper erschien. Nun sind die Kobolde anders als Orks, Zwerge und Elfen keine typisch Tolkienesquen Fantasy-Völker. Sie gehören wie Wichtelmännchen eher dem Volkssagenschatz an. Wie kamst Du hier auf die Idee, die kleinen Gauner, die immer nur ihre Streiche im Kopf haben, in den Mittelpunkt einer Handlung zu stellen?

Eigentlich hat mich meine Lektorin dazu angestiftet. Ich hatte zuvor gar keine Ahnung von Kobolden und musste mich erst kundig machen, was die europäischen Sagenwelten zum Thema zu sagen hatten. Danach habe ich definiert, was ich unter einem Kobold verstehen will: Was macht sie aus? Was mögen sie? Wofür fehlt ihnen das Verständnis?
Als ich dann Freunden erzählte, dass ich nun über Kobolde schreiben wollte, waren die meisten gar nicht überrascht: Worüber sonst? Beinahe enttäuschend.

Brams und seine Gefährte haben ja eine ganze Menge Abenteuer zu überstehen. Bei all den lustigen Geschehnissen und Begegnungen, die sie überstehen müssen strahlt gerade Brams aber auch eine teilweise melancholische Tiefe aus, die mich erstaunt hat. Legst Du hier bewusst einen doppelten Boden an?

Sicherlich. Das sind keine Zufälle. Kobolde sind alle unterschiedlich. Im Gegensatz zu den Menschen haben sich nicht einmal ein einheitliches Namenskonzept: Brams, Riette, Erpelgrütz, Moin-Moin – das ist bewusste Willkür. Nicht so wie Krieghelm, Kriegerich, Siegkrieg und Sieglinde. Brams ist ein biederer Kobold, was eigentlich ein Widerspruch ist. Ihm fallen zwar auch ständig Streiche ein, aber dank seiner Begleiter Hutzel, Riette, Rempel Stilz und auch Regentag enden sie meist nicht so, wie er sich das vorgestellt hat. Zudem ist er ja der inoffizielle Mittelsmann zum Leser, also zwangsläufig etwas vermenscht. Nähme Riette diese Rolle ein, so sähe alles sehr viel anders aus. Ich weiß ja selbst nicht, ob sie nur stark impulsgesteuert ist oder doch etwas psychopathisch.

Nun erwartet der Leser von Romanen aus Deiner Feder immer, dass er sich bei der Lektüre vor Lachen kugelt. Empfindest Du diese Eingruppierung in „Witzko = Autor von humorvoller Fantasy“ als Belastung, oder ist Dein Markenzeichen für Dich auch Bestätigung - allzu viele gute humorvolle Fantasyautoren gibt es ja nicht?

Wenn ich den Leser zum Lachen bringen will, dann soll er natürlich auch lachen. Allerdings sollte er auch betroffen sein, wenn ich ihn betroffen machen will. Üblicherweise wechsle ich schon wegen des Kontrasts zwischen ernsten und nicht ganz so ernsten Passagen ab und plane die humorvollen Stellen sorgfältig. Beim „Traumbeben“ war recht genau festgeschrieben, welche Figur für den gröberen und welche für den feineren Humor zuständig sein sollte. Bei den „Kobolden“ gab es eine vergleichbare Planung, nur war die jetzt nicht personenbezogen, sondern betraf die Frage: Was für eine Art von Humor will ich eigentlich? Ich habe mich für eine mögliche breite Herangehensweise entscheiden: Slapstick, schnelle Wortwitze, Absurdes usw. Um auf die Frage zurückzukommen: Nein, es belastet mich nicht. Schreiben ist für mich vor allem ein großes Experiment. Es gibt vieles, was sich auszuprobieren lohnt. Ich lache zwar gerne über meine eigenen Texte, empfinde aber auch beim Verfassen von depressiven und wirklich gemeinen Kapiteln eine große Befriedigung.

Da darf die Frage nach Vorbildern, nach Büchern die Du schätzt nicht fehlen. Was liest Du gerne, welche Autoren bewunderst Du und warum gerade diese?

Ich lese heutzutage eigentlich viel zu wenig und auch etwas ziellos. Viele Bücher sind Pflicht, um mich etwa in ein Thema einzuarbeiten. Hin und wieder entdecke ich dann einen speziellen Autor und lese eine Zeitlang nichts anderes als seine Bücher. Das war etwa bei Patricia Cornwells „Kay-Scarpetta“-Romanen der Fall, obwohl ich eigentlich kein Krimi-Leser bin. Ich hatte eine Mika-Waltari-Phase, in der ich zuerst dessen gesamte historische Romane las – „Sinuhe, der Ägypter“ ist etwa von ihm -, danach seine zeitgenössischen aus dem Finnland der Dreißiger und Vierziger, die eigentlich viel fremdartiger wirkten als die Geschichten von Etruskern und Sultanen. David Lodge ist eine anderer Name. „Schnitzeljagd“ ist eine Freude für jeden, dem wissenschaftliche Tagungen ein Begriff sind. Aber er hat auch anderes Lesenswertes über das Großbritannien der Siebziger und Achtziger geschrieben. Schließlich will ich noch Upton Sinclair erwähnen, einen sehr produktiven Autor, der Romane, Theaterstücke und Aufsätze schrieb. Sein bekanntestes Werk ist „Der Dschungel“, das die Verhältnisse in den Schlachthöfen Chicagos und die Lage osteuropäischer Einwanderer in die USA Anfang des 20. Jahrhunderts beschreibt. Eigentlich habe ich keine bewussten Vorbilder, aber da Sinclair eine Reihe von Aufsätzen über Literatur verfasste, will ich ihn noch am erklärtesten als Einfluss benennen.

Die Frage nach Deinen weiteren literarischen Plänen darf auch nicht fehlen - wird es ein Wiedersehen mit Brams und Co geben, oder ...?

Ja und diese Fortsetzung ist auch bereits in Arbeit. Auch wenn der erste Koboldroman in sich abgeschlossen ist, gibt es ja doch einige nicht rechtzeitig verschlossene Türen ...

Vielen Dank, dass Du uns Deine Zeit geopfert hast. Dir und Deinen Kobolden alles Gute!


Carsten Kuhrs Rezension zu Karl-Heinz Witzkos Roman „Die Kobolde“ ist hier zu finden.





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