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  Literatur: Erschienen: "Die Stunde des Stiers"
Geschrieben am Thursday, 02.April. @ 20:02:31 CEST von Guido
 
 
  Literatur Wohl jedem, der sich auch nur ein wenig mit der wissenschaftlichen Phantastik der Sowjetunion beschäftigt hat, ist der Name Iwan Jefremow (1907-1972) ein Begriff. Der Beginn der Zeitschriftenveröffentlichung seines Romans "Das Mädchen aus dem All" (1957/58) fiel mit dem Beginn des Raumfahrtzeitalters zusammen, und der Roman markierte für die sowjetische Science Fiction den Beginn einer neuen Etappe, in der die bis dahin vorherrschende Nah-Phantastik um Verbesserungen in der sozialistischen Produktion und die Abwehr von Spionen und Saboteuren allmählich durch kühnere Zukunftsentwürfe oder zumindest doch kosmische Abenteuer abgelöst wurde.

Weniger bekannt ist hierzulande, dass Jefremow noch einen zweiten großen Science-Fiction-Roman geschrieben hat. "Die Stunde des Stiers" erschien 1968 zunächst in einer gekürzten Zeitschriftenfassung und 1970 dann in der umfangreicheren Buchversion. Die Handlung ist 300 Jahre nach "Das Mädchen aus dem All" angesiedelt. Prolog und Epilog zeigen wieder die lichte Zukunftswelt, aber das Augenmerk des durch "Das Mädchen aus dem All" und die Novelle "Das Herz der Schlange" (1959) als so demonstrativ optimistisch bekannt gewordenen Autors liegt diesmal auf einer Dystopie. Im Rückblick werden die Erlebnisse edler irdischer Raumfahrer auf dem Planeten Tormans geschildert. Der Planet wurde vor langer Zeit von kapitalistisch organisierten irdischen Auswanderern besiedelt, und nun finden die allseitig entwickelten Besucher aus der klassenlosen Gesellschaft eine katastrophale soziale und ökologische Situation vor. (Lesern der DDR-SF wurde ein solches Sujet von Johanna und Günter Braun in dem Roman "Unheimliche Erscheinungsformen auf Omega XI" (1974) in spielerisch-grotesker Form präsentiert.) Das Sujet verheißt linientreue antikapitalistische Polemik, und Jefremow scheint dieser Erwartung durchaus gerecht zu werden.

Um so überraschender mag da das weitere Schicksal dieses Romans erscheinen. Nach der Buch-Erstveröffentlichung in einer Auflage von 200.000 Exemplaren fiel er nachträglich der Zensur zum Opfer. Das manifestierte sich nicht allein darin, dass der Roman nunmehr weder zu kaufen noch in den Bibliotheken auszuleihen war, sondern fortan in Publikationen nicht einmal mehr erwähnt werden durfte. Der Status Jefremows als - neben Alexej Tolstoi und etwas kontrovers auch den Strugazkis - Vorzeigeautor der sowjetischen Science Fiction blieb jedoch bestehen, zumal der Schriftsteller und Paläontologe 1972 verstarb und somit keine neuen Probleme von seiner Seite zu erwarten waren. Außer halt dem, dass man keine vollständige Werkausgabe veranstalten konnte. (Es ergab sich die skurrile Situation, dass in den 1975/76 erschienenen und 1980 mit einem Ergänzungsband abgeschlossenen "Gesammelten Werken" nicht nur der Text des geächteten Romans fehlte, sondern jedweder Hinweis auf dessen bloße Existenz. Und das trotz einer in dieser Edition enthaltenen Bibliographie der Werke Jefremows.)

Warum nun ist "Die Stunde des Stiers" derart in Ungnade gefallen? Ich sehe folgenden Grund dafür. In der Tat polemisiert Jefremow vordergründig gegen den Kapitalismus und - in Übereinstimmung mit der damaligen offiziellen sowjetischen Linie - gegen den kommunistischen Ameisenstaat maoistischer Prägung. Doch aus dem Romankontext herausgelöst würde sich so mancher Kritikpunkt auch ausgezeichnet auf einer dissidentischen Charta ausmachen. Ist der Raubbau an der Natur tatsächlich ein allein dem maroden kapitalistischen System eigenes Problem? Der Eifer, mit dem die Herrscherclique von Tormans die von ihnen unterdrückte Bevölkerung vor systemgefährdenden Informationen von außerhalb des Planeten zu bewahren versucht, wäre der auch unter sowjetischen Verhältnissen denkbar? Nein, dieses Buch war auch durch das beschwichtigende Vorwort, in dem Jefremow mehrfach auf W. I. Lenin verweist, nicht mehr zu retten.

Die Stunde dieses Buches brach erst mit der Zeit der neuen Offenheit unter Gorbatschow an. Meines Wissens 1988 erschien der Roman erstmals wieder, und seit 1991 ist er in russischer Sprache wohl ständig lieferbar. Von 1988 bis März 2009 sind mindestens 23 unterschiedliche Ausgaben erschienen.
Und nun liegt "Die Stunde des Stiers", das Pendant zum "Mädchen aus dem All", schließlich auch in deutscher Übersetzung vor. Dem enthusiastischen Kleinverleger Gerd-Michael Rose und dem Übersetzer Maxim Knoll ist dies zu verdanken. Die winzige limitierte Auflage besteht aus 50 numerierten Exemplaren. Es handelt sich um Bücher mit festem Einband und einschließlich des Vorwortes von Jefremow und eines Nachwortes von Gerd-Michael Rose je 600 Seiten, und wer eines davon zum Preis von 34,80 EUR erwerben möchte, der wende sich am besten umgehend an den Verleger gmrose070159-at-freenet.de.

Text: Ivo Gloss
 
 
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