INTRAG: VIEL LÄRM UM NICHTS
Über die unorthodoxe Öffentlichkeitsarbeit eines Kleinverlages

Bei phantastik.de werden wir täglich mit allerlei Meldungen konfrontiert. Aufgrund der Tatsache, dass wir zuverlässig unsere Website updaten, sobald etwas Neues passiert ist, und unser nunmehr wöchentlicher Newsletter umfassende Informationen bietet, fungieren wir für viele als Transmissionsriemen zwischen der Szene und jenen, die diese mit Material versorgen. Dazu gehören natürlich auch die zahlreichen Kleinverlage, die zu Recht annehmen, bei uns ein grundsätzlich offenes Ohr für ihre Anliegen zu finden.

Zu diesen Kleinverlagen gehört INTRAG (www.intrag-publishing.com), der angeblich mit Sitz in den USA seit einiger Zeit eher unbekannte Autorinnen und Autoren mit vor allem Fantasy- und Horroranthologien veröffentlicht. INTRAG zögert nicht, in seiner Selbstdarstellung auf der obigen sowie anderen, mit dem Verlag verbundenen Wesites in die Vollen zu greifen: Da wird von großartigen Veranstaltungen in den USA mit großer Medienpräsenz berichtet, Starautorin "Savah M. Webber" erhält gar hochdotierte Friedenspreise der Vereinten Nationen, neue Autoren - oder zumindest Frau Webber - erhalten sofort einen Werbeetat von 20.000 US$ und das aufstrebende Unternehmen heimst nach eigenem Bekunden einen Award nach dem anderen ein. Betrachtet man sich die auf Deutsch auf der Website wiedergegebenen Artikel aus US-amerikanischen Tageszeitungen, bleibt dem unvoreingenommenen Beobachter nur noch, vor Ehrfurcht zu erstarren.

Vor einiger Zeit erhielt phantastik.de nun eine Pressemitteilung - mit der Bitte um Veröffentlichung. Darin wurde berichtet, dass dem Verlag zahlreiche Awards von einer "German American Publisher Association" (GAPA) verliehen worden seien - mit einer großen Zeremonie in der "Universität für schaffende Künste" in North Hollywood, dem angeblichen Sitz des Verlages. Wir brachten die Meldung nicht: Ein mulmiges Gefühl beschlich uns angesichts der vollmundigen Aussagen und der Pressestimmen, die auf der Website damit verbunden waren. Als der Verlag bei uns nachfragte, wann wir denn nun endlich die Mitteilung bringen würden, beschlossen wir, zu recherchieren.

Was nun geschah, kann am ehesten mit einem sehr großen, mit heißer Luft gefüllten Ballon verglichen werden, in den jemand eine Nadel reinpiekst. Übrig bleibt ein kleines Stück glibbriges Gummi. Das wirklich Überraschende an diesem Vorgang ist, dass wir die Ersten waren, die zur Nadel gegriffen und das Lügengebäude des "Intrag"-Verlages zum Einsturz gebracht haben.

Phantastik.de berichtet gerne über Kleinverlage und ihre Projekte. Für uns sind diese Verlage das Salz in der Suppe der Szene, in ihnen werden sowohl altehrwürdige literarische Traditionen aufbewahrt wie auch neue Ideen ausprobiert. Wir berichten dabei unparteiisch über alle Akteure in der Szene, die uns mit Informationen versorgen. Dies ist jederzeit unserem Newsarchiv zu entnehmen. Nicht immer entspricht alles, was in Kleinverlagen erscheint, den höchsten Standards, und es findet sich auch so manches schwarzes Schaf darunter. Daher haben wir es uns zur Selbstverpflichtung gemacht, bei Kleinverlagen, die wir nicht weiter kennen, Pressemitteilungen nicht einfach zu veröffentlichen, sondern vorher etwas zu recherchieren. Mithin hängt unsere eigene Glaubwürdigkeit von dem ab, was wir auf der Website präsentieren.

Die Recherchen zum INTRAG-Verlag ergaben interessante Ergebnisse. Wir begannen mit der Pressemitteilung zur Verleihung der GAPA-Awards - die ist immer noch online auf der Website des Verlages unter www.intrag-publishing.com (Stand: 15.8.2004) - und gingen von dort aus, weitere Kreise zu ziehen. Das Ergebnis war ebenso verblüffend wie erschreckend. Erschreckend? Darauf kommen wir gleich.

· Es gibt keine "German American Publisher Association", die irgendwelche Awards vergibt. Genauso wenig übrigens wie eine ebenfalls angeblich Preise vergebende "Game and Play Writer" Vereinigung aus San Diego, die INTRAG ebenfalls bereits beglückt haben soll.
· Es gibt keine "Universität der schaffenden Künste" in North Hollywood, in der angeblich die Preisverleihung stattfand.
· Es gab und gibt keine Presseberichterstattung in US-amerikanischen Zeitungen über die Preisverleihung, wie auf der INTRAG-Website verlautbart.
· Keine der auf der Website des Verlages oder seiner Projekte - wie www.world-of-fantasy.com - abgedruckten, "ins Deutsche übersetzten" und angeblich in US-amerikanischen Tageszeitungen publizierten Artikel über INTRAG existiert.

Wie haben wir das herausgefunden? Nun, nachdem wir durch eine Google-Suche der entsprechenden Schlagwörter außer den INTRAG-Websites keinerlei Quellen erhalten haben, haben wir die Online-Newsarchive der in den Presseveröffentlichungen angegebenen US-amerikanischen Zeitungen gründlich nach allen Stichworten durchsucht. Fehlanzeige. Anschließend haben wir bei ausgewählten Zeitungen eine Anfrage per Email an die zuständigen Redaktionen gestartet mit der Bitte, die angeblichen Artikel zu bestätigen. Es kamen nur Auskünfte, nach denen solche Artikel nie publiziert worden seien, es sich mithin um Fakes handeln müsse.

An dieser Stelle unserer Recherchen konfrontierten wir - in guter journalistischer Tradition - vor der Abfassung eines Artikels die INTRAG-Verantwortlichen mit unseren Erkenntnissen und baten um Stellungnahme. Wir baten um Kontaktadressen zur "GAPA", einer Liste der bisherigen Award-Verleihungen, eine Spezifizierung des Veranstaltungsortes sowie um noch einmal überprüfte Presseangaben, damit wir mögliche Irrtümer ausschließen könnten.

Wir erhielten eine kurze Antwort, nach der man sich der Sache annehmen (und auch das "Rechts-Dept." des Verlages von der Sache in Kenntnis setzen werde). Danach hörten wir nichts mehr. Kein Sterbenswort. Unsere Recherchen aber gingen weiter:

· Keine der als Verlagsmitarbeiter benannten Personen ist offenbar in Kalifornien aufzufinden - zumindest findet sich zu niemandem eine Telefonnummer im Telefonbuch.
· Der Verlag "INTRAG" steht ebenfalls weder im Telefonbuch von Los Angeles noch im Business Directory.
· Die auf der Verlagswebsite angegebene Telefonnummer wird offenbar nicht beantwortet - wir haben mehrmals zu den angegeben Geschäftszeiten dort angerufen, es hat nie jemand abgehoben.

Die Heldin des Verlages scheint eine Dame namens Savah M. Webber zu sein, die laut ihrer Website www.savahmwebber.com eine aus Deutschland stammende, aber mittlerweile in Los Angeles wohnende Autorin sei. Sie ist für die meisten der Bücher des Verlages als Herausgeberin oder Autorin verantwortlich. Auf ihrer Website stellt sie einige wagemutige Behauptungen über sich auf. Sony überlegt, ihre Bücher zu verfilmen. Die gute Frau sackt Literaturpreise in Folge ein. Nun, als einzige nachweisbare "amerikanische" Autorin des Verlages ist das wohl das Mindeste. Wir haben diesmal nur eine der Meldungen nachgeprüft, nämlich die, die uns am dreistesten erschien:

· Ihre Behauptung, im letzten Jahr einen von den Vereinten Nationen gestifteten Literaturpreis für "grenzüberschreitende Friedensstiftung und literarische Zusammenarbeit" erhalten und vor einer von der UN-Kommission ernannten Jury eine Dankesrede gehalten zu haben, entspricht nicht den Tatsachen. Eine Recherche in den Pressemitteilungen der UN wie auch der für Kultur zuständigen UN-Organisation UNESCO hat keinerlei Hinweise auf irgendeine Preisverleihung oder gar die Existenz eines solchen Preises erbracht. Die Pressestellen der UN sowie der UNESCO sahen sich außerstande, die Behauptungen Savah M. Webbers zu bestätigen.

Der Kreis begann sich zu schließen.

Wir haben den Begriff "erschreckend" verwendet und möchten erklären, was wir damit meinen. INTRAGs Selbstdarstellungspraxis ist nicht betrügerisch im strafrechtlichen Sinne. Es wird gelogen, dass sich die Balken biegen, aber es liegen uns keine Informationen darüber vor, dass der Verlag diese Art der Propaganda nutzt, um seine Autoren abzuzocken. Es verwirrte uns zwar, dass einer der gerade volljährig gewordenen Autoren des Verlages seinen Keller nun als "Deutschland-Depot" des INTRAG-Vertriebes ausbaut (angesichts der Summen, mit denen der Verlag auf seiner Website jongliert, könnte er sich besseres leisten), aber: Die Autoren erhalten Honorare für ihre Arbeit, sie müssen für eine Veröffentlichung nichts zahlen. Dennoch sind unsere Erkenntnisse erschreckend, weil auf diese Art und Weise eine große Anzahl hoffnungsvoller, junger Fantasy-Autoren an einen vermeintlich großen, erfolgreichen und international anerkannten Verlag sich hat binden lassen, der in Wirklichkeit nichts weiter ist als ein ganz normaler Kleinverlag, der mäßig gut aufgemachte Bücher im print-on-demand-Verfahren druckt und vertreibt. An letzterem ist nichts ehrenrühriges, das machen viele, und viele davon arbeiten seriös und anständig. Warum die Verantwortlichen von INTRAG es als notwendig ansahen, eine Traumwelt zu erschaffen, in der jede Fake-Meldung von angeblichen Preisverleihungen die Autorinnen und Autoren zu lauten, fast tränenreichen Solidaritätsbekundungen veranlasst hat, wissen wir nicht. Vielleicht wollte man gleich schnell hoch hinaus, das harte Brot eines jahrzehntelangen Verlags- und Reputationsaufbaus vermeiden und gleich "sehr wichtig" sein. Erschreckend ist auch, dass INTRAG diese Praxis seit einem Jahr ohne jede kritische Nachfrage, ohne jede Nachprüfung der Angaben hat durchführen können. Es heißt, je größer die Lüge, desto weniger wird an ihrem Wahrheitsgehalt gezweifelt. In der Tat ist die Dreistigkeit der INTRAG-Verantwortlichen verblüffend. Noch verblüffender ist, dass die INTRAG-Autoren - und das sind entgegen der Angaben des Verlages (außer Frau Webber) ausschließlich jene deutschen Jungautoren, die sich hier an den Verlag gebunden haben - alles geschluckt haben, ohne es zu hinterfragen.

Was kommt als nächstes?
Die einzige sichtbare Reaktion des INTRAG-Verlages auf unsere Anfrage war, aus den Pressemitteilungen die Hinweise zu den Veröffentlichungen in US-amerikanischen Zeitungen zu streichen. Immerhin, ein besseres Schuldeingeständnis hätten sie nicht präsentieren können, wir sind dankbar für diese Bestätigung unserer Recherchen. Wir haben das vorhergesehen und alle Websites in ihrer Originalfassung gesichert. Hier ein kleines Vorher-Nachher-Beispiel von der Website www.intrag-publishing.com:

Vorher:

Kurz nach unserer Anfrage sah die gleiche Mitteilung plötzlich so aus:

 

Was wirklich als nächstes kommt, darüber können wir nur spekulieren. Da die Autoren des Verlages laut zigfach öffentlich bekundeten Äußerungen jede dieser "Meldungen" geglaubt haben, scheint es sich bei der ganzen Sache offensichtlich nicht einfach um einen Scherz zu handeln. Wird der Verlag seine Autoren nun noch stärker an sich binden, eine "in group" mit ihren eigenen Ritualen und Gesetzen schaffen? Wir können uns da einiges vorstellen: Eine generalstabsmäßige, kollektive Organisation der INTRAG-Gefolgsleute etwa, mit Zutritt nur für solche "Neuen", die eine Vertrauensprüfung bestanden haben. Es scheint das Ziel des Verlages zu sein, die Autorinnen und Autoren eng an sich zu binden, und zwar so eng, dass mögliche Kritik von innen unmöglich, Kritik von außen nur als "Verschwörung" wahrgenommen wird. phantastik.de wird diese Entwicklung aufmerksam beobachten und darüber berichten.

Wer sich persönlich ein Bild machen will, sollte zum kommenden BuchmesseCon kommen: Dort hat INTRAG nach eigenen Angaben einen großen Stand und viele Lesungen, man darf die genasführten Autoren einmal persönlich ansprechen. Vom Verlag selbst wird aber wohl, aus kluger Überlegung, niemand da sein.

Wir werden bei phantastik.de weiter über Kleinverlage berichten. Wir werden weiterhin ihre Pressemitteilungen veröffentlichen, wenn diese einen Informationswert über die bloße Ankündigung eines neuen Buches hinaus haben. Kleinverlage und ihre Projekte werden immer ein offenes Ohr bei uns finden.

Wir lassen uns aber nur ungern auf den Arm nehmen.

Text: Dirk van den Boom, unter Mitarbeit von Martin Kay, Oliver Naujoks und Guido Latz.